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Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Titel: Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cheryl Strayed
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vor jedem einzelnen großen Respekt. Und noch größeren an diesem Tag auf der Hat Creek Rim, als es immer heißer und heißer wurde und der Wind kaum mehr tat, als gelegentlich den Staub zu meinen Füßen aufzuwirbeln. Einmal, während einer solchen Böe, hörte ich ein Geräusch, das hartnäckiger war als jedes, das der Wind hervorgerufen haben konnte, und begriff, dass es eine Klapperschlange war, die kräftig mit ihrem Schwanz rasselte, um mich zu warnen. Ich prallte zurück. Die Schlange lag nur wenige Schritte vor mir auf dem Pfad. Ihre Rassel ragte wie ein mahnender Finger aus ihrem zusammengerollten Leib, und ihr stumpfes Gesicht blickte in meine Richtung. Noch ein paar Schritte, und ich wäre auf sie getreten. Es war die dritte Klapperschlange, der ich auf dem Trail begegnete. Ich schlug einen fast schon lächerlich weiten Bogen um sie und wanderte weiter.
    Gegen Mittag fand ich ein schattiges Plätzchen und setzte mich zum Essen hin. Ich zog Socken und Stiefel aus und tat das, was ich in der Mittagspause fast immer tat: Ich legte meine geschwollenen und geschundenen Füße hoch, indem ich den Rucksack als Kissen benutzte. So auf dem Rücken liegend, blickte ich in den Himmel und beobachtete die Habichte und Adler, die über mir ruhig ihre Kreise zogen, aber ich konnte mich nicht richtig entspannen. Und nicht nur wegen der Klapperschlange. Die Landschaft war so kahl, dass ich sie weit überschauen konnte, und dennoch hatte ich ständig das unbestimmte Gefühl, dass etwas in meiner Nähe herumschlich, mich beobachtete und nur darauf wartete, über mich herzufallen. Ein Puma vielleicht. Ich setzte mich auf und ließ den Blick suchend über die Umgebung schweifen, legte mich wieder zurück und sagte mir, dass ich nichts zu befürchten hätte, fuhr aber schon im nächsten Moment wieder hoch, weil ich das Knacken eines Astes gehört zu haben glaubte.
    Das ist nichts, sagte ich mir. Ich habe keine Angst. Ich griff nach meiner Wasserflasche und trank. Ich war so durstig, dass ich sie erst wieder absetzte, als sie leer war. Dann öffnete ich die andere und trank auch aus ihr. Ich konnte mich nicht bremsen. Das Thermometer, das am Reißverschluss meines Rucksacks baumelte, zeigte an meinem schattigen Platz achtunddreißig Grad.
    Ich sang beim Gehen coole Lieder, und die Sonne drückte mit solcher Macht, als besäße sie tatsächlich eine physische Kraft, die aus mehr als nur Hitze bestand. Schweiß sammelte sich um meine Sonnenbrille und lief mir in die Augen, die so brannten, dass ich immer wieder stehen bleiben und mir das Gesicht abwischen musste. Es war kaum zu glauben, dass ich noch vor einer Woche oben in den verschneiten Bergen meine gesamte Kleidung am Leib getragen und jeden Morgen beim Aufwachen auf eine dicke Eisschicht an der Zeltwand geblickt hatte. Ich konnte mich gar nicht mehr richtig daran erinnern. Es war meine fünfte Woche auf dem Trail, und diese weißen Tage erschienen mir wie ein Traum, als wäre ich die ganze Zeit in sengender Hitze nach Norden getaumelt, immer nur in dieser Hitze, die mich in der zweiten Woche fast zum Aufgeben gebracht hätte. Ich blieb stehen und trank wieder. Das Wasser war so heiß, dass ich mir fast den Mund verbrannte.
    Salbei und zahlreiche Wildblumen bedeckten die weite Hochfläche. Kratzige Pflanzen, die ich nicht kannte, streiften meine Waden. Andere, die ich kannte, schienen zu mir zu sprechen, nannten mir mit der Stimme meiner Mutter ihre Namen. Namen, die ich erst wiedererkannte, wenn sie mir deutlich ins Bewusstsein traten: Wilde Möhren, Indianerpinsel, Lupinen in weiß, orange und violett. Wenn meine Mutter solche Wiesenblumen vom Auto aus sah, hielt sie manchmal an und pflückte im Straßengraben einen Strauß.
    Ich blieb stehen und blickte zum Himmel. Die Greifvögel kreisten noch, schlugen kaum mit den Flügeln. Ich werde nie wieder nach Hause gehen, dachte ich mit einer Endgültigkeit, die mir kurz die Kehle zuschnürte, dann setzte ich meinen Weg fort, den Kopf leer bis auf den einen Gedanken, mich durch diese karge Eintönigkeit zu kämpfen. Es gab keinen Tag auf dem Trail, an dem diese Monotonie des Wanderns sich am Ende nicht durchgesetzt, an dem ich nicht irgendwann nur noch an die körperlichen Strapazen gedacht hätte. Es war eine Art Hitzekur.Ich zählte meine Schritte, und wenn ich bei hundert war, fing ich wieder von vorn an. Jedes Mal, wenn ich wieder die Hundert vollgemacht hatte, war mir, als hätte ich etwas Kleines erreicht. Dann wurden

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