Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Titel: Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cheryl Strayed
Vom Netzwerk:
anzüglich, und seine Worte fuhren mir in den Bauch wie eine Ladung Schrot. Bei der Vorstellung, dass er in der Nähe gelauert und mich beobachtet hatte, als ich mich auszog, wurde mir ganz elend.
    »Ihre Hosen gefallen mir«, sagte er mit einem leichten Grinsen, nahm seinen Rucksack ab und stellte ihn auf den Boden. »Oder Leggins, wie man die, glaube ich, nennt.«
    »Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, sagte ich benommen, konnte aber meine eigene Stimme kaum hören, denn ein lautes Schrillen erfüllte meinen Kopf, das nichts anderes war als die Erkenntnis, dass meine ganze Wanderung auf dem PCT darauf hinausgelaufen sein konnte: Ganz gleich wie zäh, wie stark und wie tapfer ich gewesen und wie gut ich mit dem Alleinsein zurechtgekommen war, ich hatte auch Glück gehabt, und wenn mich dieses Glück jetzt verließ, dann wäre das so, als hätte es alles, was war, nie gegeben, denn dieser eine Abend würde alle Tage der Tapferkeit auslöschen.
    »Ich rede davon, dass mir Ihre Hosen gefallen«, sagte der Mann leicht gereizt. »Sie stehen Ihnen gut. Sie bringen Ihre Hüften und Beine gut zur Geltung.«
    »Bitte sagen Sie so was nicht«, erwiderte ich so bestimmt wie möglich.
    »Was? Ich mache Ihnen Komplimente! Darf ein Mann einer Frau keine Komplimente mehr machen? Sie sollten sich geschmeichelt fühlen.«
    »Danke«, sagte ich, um ihn zu beschwichtigen, und hasste mich dafür. Ich dachte an die drei jungen Draufgänger, die womöglich noch gar nicht wieder auf dem Trail waren. Ich dachte an die lauteste Pfeife der Welt, die kein Mensch außer dem Rothaarigen hören würde. An das Schweizer Taschenmesser, das zu weit weg in der oberen linken Seitentasche meines Rucksacks steckte. An das noch nicht ganz kochende Wasser in dem henkellosen Topf auf meinem Campingkocher. Und dann fiel mein Blick auf die Pfeile, die oben aus dem Rucksack des Blonden ragten. Ich fühlte mich wie durch einen glühenden Draht mit diesen Pfeilen verbunden. Falls er versuchen sollte, sich an mir zu vergreifen, würde ich mir einen schnappen und ihm in den Hals stoßen.
    »Sie sollten jetzt besser gehen«, sagte ich in ruhigem Ton. »Es wird bald dunkel.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust, da mir mit einem Mal zu Bewusstsein kam, dass ich keinen BH trug.
    »Das ist ein freies Land«, sagte er. »Ich gehe, wann ich will. Das ist mein gutes Recht.« Er nahm seine Pepsi-Dose zur Hand und schwenkte das Wasser darin.
    »Was zum Teufel machst du hier?«, rief eine Männerstimme, und im nächsten Augenblick erschien der Rothaarige. »Ich musste den ganzen Weg zurücklaufen, um dich zu finden. Ich dachte, du hättest dich verirrt.« Er sah mich vorwurfsvoll an, als wäre es meine Schuld, als hätte ich den Blonden hinter seinem Rücken zum Bleiben animiert. »Wir müssen jetzt los, wenn wir beim Pick-up sein wollen, bevor es dunkel wird.«
    »Geben Sie auf sich acht hier draußen«, sagte der Blonde zu mir und setzte seinen Rucksack auf.
    »Wiedersehen«, sagte ich ganz leise, da ich ihm eigentlich nicht antworten, ihn andererseits aber auch nicht reizen wollte, indem ich gar nicht antwortete.
    »He«, sagte er, »es ist zehn nach sieben. Wir können jetzt das Wasser trinken.« Er hob die Pepsi-Dose in meine Richtung und brachte einen Toast aus: »Auf die Frau, die ganz allein im Wald ist.« Dann trank er einen Schluck, drehte sich um und stapfte hinter seinem Freund den Pfad entlang.
    Ich blieb eine Weile stehen wie beim ersten Mal, als sie gegangen waren, und wartete, bis die Angstkrämpfe sich lösten. Es war nichts passiert, sagte ich mir. Es war nichts passiert. Ich war vollkommen in Ordnung. Er war nur ein geiler, fieser Widerling, und jetzt war er fort.
    Dann aber stopfte ich das Zelt in den Rucksack zurück, drehte den Kocher aus, kippte das heiße Wasser ins Gras und tauchte den Topf in den Teich, damit er abkühlte. Trank einen Schluck von meinem Jodwasser und verstaute die Trinkflasche, das T-Shirt, den BH und die Shorts im Rucksack. Schnallte mir den Rucksack um, trat auf den Trail und marschierte im schwindenden Licht nach Norden. Ich marschierte und marschierte, und mein Kopf schaltete wieder auf Sparflamme, und ich dachte an nichts anderes mehr, als in Bewegung zu bleiben, ging immer weiter, bis das Gehen unerträglich wurde, bis ich glaubte, keinen Schritt mehr tun zu können.
    Und dann rannte ich.

18 –
Die Königin des PCT
    Es regnete, und fahles Licht sickerte durch die Wolken, als ich am nächsten Morgen erwachte. Ich lag

Weitere Kostenlose Bücher