Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)
ich buchstäblich vor Freude. Ich erzählte ihnen, dass ich zum Essen eingeladen sei und dass sie wahrscheinlich mitessen könnten. Ich müsste mich nur vorher erkundigen und würde gleich wiederkommen und sie holen. Doch als ich zu der Hütte kam und fragte, erhielt ich von der Köchin eine Abfuhr.
»Das Essen reicht nicht für alle«, sagte sie. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, als ich mich zu Tisch setzte, aber ich war am Verhungern. Es gab Hausmannskost, wie ich sie als Kind schon tausendmal in Minnesota gegessen hatte: einen mit Cheddarkäse überbackenen Auflauf, bestehend aus Rinderhackfleisch, Dosenmais und Kartoffeln, und dazu Eisbergsalat. Ich füllte meinen Teller, leerte ihn mit ungefähr fünf Bissen und wartete dann höflich darauf, dass die Frau den Rührkuchen mit Zuckerguss anschnitt, der verlockend auf einem Beistelltisch stand. Als es so weit war, aß ich ein Stück und nahm mir diskret ein zweites – das größte –, wickelte es in eine Papierserviette und ließ es in der Tasche meiner Regenhaut verschwinden.
»Vielen Dank«, sagte ich. »Aber ich muss jetzt wieder zu meinen Freunden.«
Ich ging, das Kuchenstück in der Regenhaut vorsichtig haltend, durchs nasse Gras. Es war erst halb sechs, aber schon so dunkel und düster, dass es ebenso mitten in der Nacht hätte sein können.
»Da sind Sie ja. Ich habe Sie gesucht«, rief eine Männerstimme. Es war der Ranger, der mir am Morgen das Paket und die Briefe ausgehändigt hatte. Er tupfte sich mit einem Geschirrtuch die Lippen ab. »Ich kann nicht richtig sprechen«, lallte er, als ich auf ihn zu trat. »Ich hatte heute eine Operation im Mund.«
Ich setzte die Kapuze auf, weil es von Neuem zu regnen begonnen hatte. Er hatte nicht nur etwas am Mund, sondern auch leicht einen sitzen, wie es schien.
»Hätten Sie Lust, ein Glas mit mir zu trinken? So kommen Sie aus dem Regen«, sagte er mit seiner entstellten Stimme. »Ich wohne gleich da drüben, in der anderen Hälfte der Station. Ich habe gerade den Kamin angefeuert und mixe Ihnen ein oder zwei schöne Cocktails.«
»Danke, aber ich kann nicht. Vorhin sind Freunde von mir angekommen, mit denen ich zusammen campe«, sagte ich und deutete zu dem Hügel auf der anderen Straßenseite, hinter dem mein Zelt und inzwischen wahrscheinlich auch die der drei jungen Draufgänger standen. Ich stellte mir vor, was die drei in diesem Augenblick taten: Wie sie in ihren Anoraks im Regen kauerten und ihre verhasste Trail-Kost runterwürgten oder wie sie, jeder für sich, in ihren Zelten hockten, weil sie sonst nirgends hin konnten. Und dann dachte ich an das warme Kaminfeuer und die versprochenen Drinks und daran, dass es vielleicht ganz praktisch wäre, wenn mich die drei zu dem Ranger begleiteten, falls der irgendwelche Hintergedanken hatte. »Oder vielleicht doch«, sagte ich zögernd, während der Ranger sabberte und sich dann den Mund abwischte. »Ich meine, wenn es Ihnen nichts ausmacht, dass ich meine Freunde mitbringe.«
Ich kehrte mit dem Kuchen in unser Lager zurück. Die drei jungen Draufgänger hatten sich bereits in die Zelte zurückgezogen. »Ich habe Kuchen!«, rief ich, und sie kamen heraus, umringten mich und aßen ihn mit den Fingern aus meinen Händen, wobei sie ihn mit einer stillschweigenden Selbstverständlichkeit untereinander aufteilten, die in all den Monaten der Entbehrung und des Zusammenhaltens gewachsen war.
Es war, als wären wir uns in den neun Tagen seit unserer Trennung noch näher gekommen, noch enger zusammengewachsen, als wären wir in dieser Zeit gemeinsam und nicht getrennt gewandert. Sie waren für mich zwar immer noch die drei jungen Draufgänger, aber ich sah sie inzwischen auch differenzierter. Richie war urkomisch und auch ein klein wenig verschroben, mit einer dunklen, geheimnisvollen Seite, die ich anziehend fand. Josh war süß und intelligent und zurückhaltender als die anderen. Rick war humorvoll, geistreich und charmant, und man konnte sich wunderbar mit ihm unterhalten. Als sie so um mich herumstanden und den Kuchen aus meinen Händen aßen, kam mir zu Bewusstsein, dass ich mich in alle drei ein wenig verknallt hatte, am meisten aber in Rick. Aber natürlich war das lächerlich. Er war fast vier Jahre jünger als ich, und in unserem Alter waren vier Jahre aufgrund der unterschiedlichen Lebenserfahrung eine Welt. Ich hätte mich eher wie seine große Schwester fühlen sollen, als daran zu denken, mit ihm im Zelt zu verschwinden – also dachte ich nicht
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