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Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Titel: Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cheryl Strayed
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kennengelernt – damals waren sie erst seit kurzem liiert gewesen. Es war ein komisches Gefühl, Menschen zu sehen, die ich aus meiner alten, vertrauten Welt kannte, und es stimmte mich auch ein wenig traurig. Ich freute mich und war zugleich ernüchtert: Ihre Gegenwart schien das Ende meiner Reise zu beschleunigen und erinnerte mich daran, dass die hundertvierzig Kilometer bis Portland, für die ich noch eine Woche brauchen würde, mit dem Auto ein Katzensprung waren.
    Am Abend quetschten wir uns alle in Jasons Pick-up und fuhren auf gewundenen Waldstraßen zu den heißen Quellen von Bagby. Bagby ist eine Art Waldparadies: ein dreigeschossiger, offener Holzbau mit Badezubern unterschiedlicher Form und Größe an einem dampfenden, von den heißen Quellen gespeisten Bach im Mount Hood National Forest, zweieinhalb Kilometer vom nächsten Parkplatz entfernt und nur zu Fuß zu erreichen. Es ist keine kommerzielle Einrichtung, kein Resort oder Erholungszentrum. Jedermann kann Bagby kostenlos zu jeder Tages- und Nachtzeit besuchen und dort unter einem Dach uralter Douglasien, Hemlocktannen und Weihrauchzedern in heißem Quellwasser baden. Seine Existenz kam mir noch unwirklicher vor als das plötzliche Auftauchen Lisas in dem Laden am Olallie Lake.
    Wir hatten das Paradies praktisch für uns allein. Die drei jungen Draufgänger und ich nahmen die untere Terrasse in Beschlag, auf der unter einem hohen, luftigen Holzdach längliche Zuber in Kanugröße standen, alle aus ausgehöhlten Baumstämmen gefertigt. Der Regen rieselte sanft auf die dichten Kronen der hohen Bäume um uns herum. Wir zogen uns aus, und meine Blicke glitten im Halbdunkel über die nackten Körper der anderen. Rick und ich stiegen in benachbarte Zuber, drehten die Hähne auf und stöhnten, als sich die Zuber mit dem heißen, mineralreichen Wasser füllten. Ich erinnerte mich an mein Bad in dem Hotel in Sierra City, bevor ich in die verschneiten Berge aufbrach. Es schien zu passen, dass ich jetzt hier war und nur noch eine Woche zu wandern hatte, als hätte ich einen schweren und schönen Traum überstanden.
    Auf der Hinfahrt hatte ich vorn bei Lisa und Jason gesessen, doch als wir nach Olallie Lake zurückfuhren, stieg ich mit den drei jungen Draufgängern hinten ein und kletterte, frisch gebadet und bestens gelaunt, auf die Matratze, die auf der Pritsche lag.
    »Das ist übrigens dein Futon«, sagte Lisa, bevor sie die Klappe zumachte. »Ich habe sie aus deinem Wagen geholt und hier reingelegt für den Fall, dass wir über Nacht bleiben.«
    »Willkommen in meinem Bett, Jungs«, sagte ich in gespielt laszivem Ton, um meine Erschütterung zu überspielen. Es war tatsächlich mein Bett – der Futon, auf dem ich jahrelang mit Paul geschlafen hatte. Der Gedanke an Paul versetzte meiner guten Laune einen Dämpfer. Ich hatte den Brief, den er mir geschickt hatte, noch gar nicht geöffnet, obwohl ich Post sonst immer gleich freudig aufriss. Der Anblick seiner vertrauten Handschrift hatte mich diesmal innehalten lassen. Ich hatte beschlossen, den Brief erst zu lesen, wenn ich wieder auf dem Trail war, vielleicht weil ich wusste, dass mich das daran hindern würde, ihm umgehend zurückzuschreiben und unüberlegte, leidenschaftliche Dinge zu äußern, die nicht mehr der Wahrheit entsprachen. »In meinem Herzen werde ich immer mit dir verheiratet bleiben«, hatte ich an dem Tag, an dem wir die Scheidung einreichten, zu ihm gesagt. Das war erst fünf Monate her, doch schon jetzt glaubte ich nicht mehr daran. Meine Liebe zu ihm war unbestreitbar, aber ich hatte nicht mehr das Gefühl, zu ihm zu gehören. Wir waren nicht mehr verheiratet, und als ich mich jetzt neben die drei jungen Draufgänger auf die Matratze legte, die ich mit ihm geteilt hatte, merkte ich, dass ich mich damit abgefunden hatte. Ich spürte eine Art Klarheit, wo bisher so viel Unsicherheit gewesen war.
    Während der Pick-up über dunkle Straßen rumpelte, lagen wir dicht gedrängt quer auf dem Futon – ich, Rick, Josh und Richie, in dieser Reihenfolge. Zwischen uns war kein Zentimeter Platz mehr, genau wie auf der Couch des verrückten Rangers am Abend zuvor. Ricks Körper war leicht von Josh weg in meine Richtung gedreht und drückte gegen meinen. Der Himmel hatte endlich aufgeklart, und ich konnte den Mond sehen. Er war fast voll.
    »Sieh mal«, sagte ich nur zu Rick und deutete durch die Fensterscheibe zum Himmel. Wir sprachen leise über die Monde, die wir auf dem Trail gesehen hatten, und wo

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