Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)
waren zwei Frauen zu uns gestoßen – ein ehemaliges Liebespaar Mitte zwanzig, das durch Oregon und einen kleinen Teil von Washington wanderte. Wir marschierten in Zweier- und Dreiergruppen wechselnder Zusammensetzung und manchmal auch alle gemächlich in einer Reihe hintereinander. Die Stimmung in der Gruppe war bestens, und wir genossen die kühlen, sonnigen Tage. In den langen Pausen spielten wir Footbag, hüpften in eiskalte Seen oder reizten Hornissen und rannten dann lachend und kreischend vor ihnen davon. Als wir die in 1800 Meter Höhe an der Südflanke des Mount Hood gelegene Timberline Lodge erreichten, empfanden wir uns als verschworene Gemeinschaft, wie Kinder, wenn sie zusammen eine Woche im Sommerlager verbracht haben.
Wir kamen am Nachmittag an, nahmen im Gemeinschaftsraum zwei Sofas in Beschlag, die beiderseits eines niedrigen Holztisches standen, und bestellten sündhaft teure Sandwiches. Anschließend tranken wir Kaffee mit Baileys und spielten mit Karten, die wir uns beim Barkeeper liehen, Poker und Rommee. Der Hang des Mount Hood lag direkt vor den Fenstern des Gemeinschaftsraums. Mit seinen 3425 Metern ist der Mount Hood der höchste Berg Oregons – ein Vulkan wie all die anderen, an denen ich vorübergekommen war, seit ich im Juli südlich des Lassen Peak in die Cascade Range vorgestoßen war. Nur kam mir dieser, der letzte große Vulkan, den ich auf meiner Wanderung überqueren würde, wie der wichtigste vor, und nicht nur, weil ich gewissermaßen auf seinem Schoß saß. Sein Anblick war mir vertraut, da er wegen seiner imposanten Größe an klaren Tagen von Portland aus zu sehen war. Gleich bei unserer Ankunft am Mount Hood hatte ich so etwas wie Heimatgefühle empfunden. Portland – wo ich trotz allem, was in den acht oder neun Monaten, die ich dort in den vergangenen zwei Jahren verbracht hatte, geschehen war, eigentlich nie gelebt hatte – lag nur fünfundneunzig Kilometer entfernt.
Aus der Ferne hatte mir der Anblick des Mount Hood stets den Atem verschlagen, doch aus der Nähe wirkte er auf mich anders, wie alles. Er hatte nicht mehr diese majestätische Kühle, war zugleich gewöhnlicher und noch gewaltiger in seiner realen Mächtigkeit. Durch die Nordfenster der Lodge blickte man nicht auf den gleißenden weißen Gipfel, der viele Kilometer weit zu sehen ist, sondern auf einen gräulichen, recht kargen Hang mit vereinzelten Gruppen zerzauster Kiefern und ein paar wenigen Lupinen und Astern, die zwischen den Felsen sprossen. Mitten durch die Naturlandschaft schnitt ein Skilift, der zu dem verharschten Schneeband weiter oben hinaufführte. Ich war froh, in der wunderbaren Lodge, einer gemütlichen Insel inmitten der Wildnis, eine Weile vor dem Berg geschützt zu sein. Die Timberline Lodge ist ein großes Gebäude aus Holz und Natursteinen, das im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme der Works Progress Administration Mitte der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts errichtet wurde. Alles an ihr erzählt eine Geschichte. Die Kunstobjekte an den Wänden, die Architektur, die handgewebten Textilien, mit denen die Möbel bezogen sind – jedes Stück ist sorgfältig gearbeitet und soll die Geschichte, die Kultur und die natürlichen Schätze der Pacific-Northwest-Region widerspiegeln.
Ich entschuldigte mich bei den anderen, schlenderte langsam durch die Räumlichkeiten und trat dann hinaus auf die große, nach Süden gehende Terrasse. Es war ein klarer, sonniger Tag, und ich konnte über hundert Kilometer weit sehen. Auch viele Berge, an denen ich vorübergewandert war, darunter zwei der Three Sisters, der Mount Jefferson und der Broken Finger.
Noch ein Hopser, und es ist geschafft , dachte ich. Ich war hier. Fast am Ziel. Aber noch nicht ganz. Bis zur Brücke der Götter hatte ich noch achtzig Kilometer zu bewältigen.
Am nächsten Morgen verabschiedete ich mich von Doug, Tom und den beiden Frauen und wanderte allein weiter, indem ich den kurzen steilen Fußweg erklomm, der von der Lodge zum PCT führte. Ich ging unter dem Skilift durch und marschierte in nordwestlicher Richtung um die Flanke des Mount Hood herum. Der Pfad bestand aus zerklopften Steinen, die strenge Winter zu kiesigem Sand zermahlen hatten. Als ich zwanzig Minuten später in die Mount Hood Wilderness gelangte, tauchte ich wieder im Wald ein und spürte, wie mich Stille umfing.
Es war schön, wieder allein zu sein. Es war herrlich. Wir hatten Mitte September, aber die Sonne schien warm, und der Himmel war
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