Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)
kurze Abstiege, aber die waren keine Erholung von der Hölle, sondern eine neue Art von Hölle, da ich bei jedem Schritt alle Kraft aufbringen musste, damit ich von dem gewaltigen Gewicht nicht nach vorn katapultiert wurde und zu Fall kam. Ich hatte das Gefühl, dass nicht der Rucksack an mir, sondern ich am Rucksack festgeschnallt war. Ich kam mir vor wie ein Haus auf zwei Beinen, das aus seinem Fundament gerissen worden war und nun durch die Wildnis schlingerte.
Nach vierzig Minuten schrie eine Stimme in meinem Kopf: Worauf hast du dich da eingelassen? Ich versuchte, sie zu ignorieren, beim Wandern zu summen, obwohl sich Summen als ziemlich schwierig erwies, wenn man gleichzeitig keucht, vor Schmerzen stöhnt und halbwegs aufrecht zu bleiben versucht, wenn man sich wie ein Haus auf zwei Beinen vorkommt und trotzdem zum Weitergehen zwingt. Also versuchte ich, mich darauf zu konzentrieren, was ich hörte, auf das Stampfen meiner Füße auf dem trockenen, felsigen Pfad, das Rascheln des heißen Winds in den spröden Blättern und Zweigen der niedrigen Sträucher, an denen ich vorbeikam. Doch es gelang mir nicht. Das Worauf hast du dich da eingelassen? schwoll zu einem mächtigen Gebrüll an, das sich nicht übertönen ließ. Die einzig mögliche Ablenkung war, aufmerksam nach Klapperschlangen Ausschau zu halten. Hinter jeder Biegung erwartete ich eine zu entdecken, die zum Zuschnappen bereit war. Die Landschaft schien mir wie für sie geschaffen. Aber auch für Pumas und wildniserprobte Serienmörder.
Aber an die dachte ich nicht.
Das hatte ich mir vor Monaten fest vorgenommen, denn andernfalls wäre eine solche Solowanderung nicht möglich gewesen. Ich durfte mich nicht von Angst beherrschen lassen, sonst war diese Tour von vornherein zum Scheitern verurteilt. Angst erwächst zu einem großen Teil aus einer Geschichte, die wir uns selbst erzählen, also beschloss ich, mir eine andere Geschichte zu erzählen als die, die Frauen normalerweise zu hören bekommen. Ich redete mir ein, dass mir nichts passieren konnte. Dass ich stark war. Dass ich tapfer war. Dass mich nichts unterkriegen konnte. An diese Geschichte klammerte ich mich. Es war wie eine Gehirnwäsche, aber die meiste Zeit funktionierte es. Jedes Mal, wenn ich ein Geräusch unbekannten Ursprungs hörte und spürte, dass meine Fantasie etwas Grausiges ausbrütete, verdrängte ich es. Ich ließ einfach nicht zu, dass ich Angst bekam. Angst erzeugt Angst. Stärke erzeugt Stärke. Ich zwang mich, Stärke zu erzeugen. Und es dauerte nicht lange, bis ich wirklich keine Angst mehr hatte.
Ich rackerte zu sehr, um Angst zu haben.
Ich machte einen Schritt und noch einen, arbeitete mich im Schneckentempo voran. Ich hatte nicht erwartet, dass ich mich auf dem PCT leicht tun würde. Mir war klar gewesen, dass ich mich erst an das Wandern gewöhnen musste. Jetzt aber, wo ich hier draußen war, beschlichen mich Zweifel, ob ich mich jemals daran gewöhnen würde. Auf dem Trail zu wandern war anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich war anders, als ich mir vorgestellt hatte. Ich konnte mich nicht einmal mehr entsinnen, was ich mir vor sechs Monaten im Dezember vorgestellt hatte, als ich mich dazu entschloss.
Ich war auf einem Highway östlich von Sioux Falls in South Dakota unterwegs gewesen, als mir die Idee kam. Tags zuvor war ich mit meiner Freundin Aimee von Minneapolis nach Sioux Falls gefahren, um meinen Pick-up zu holen, den ich einem Freund geliehen hatte und der eine Woche zuvor mit einer Panne liegen geblieben war.
Als ich mit Aimee in Sioux Falls ankam, war mein Pick-up bereits abgeschleppt worden. Er stand jetzt auf einem Platz hinter Maschendrahtzaun und war unter Schneemassen begraben, die ein Blizzard, der zwei Tage zuvor dort durchgezogen war, abgeladen hatte. Wegen dieses Schneesturms war ich am Vortag bei REI gewesen und hatte mir einen Klappspaten gekauft. Beim Anstehen an der Kasse entdeckte ich den Wanderführer zum Pacific Crest Trail. Ich nahm ihn aus dem Regal, sah mir das Cover an, las den Text auf dem Rückendeckel und stellte ihn wieder zurück.
Als Aimee und ich meinen Pick-up in Sioux Falls vom Schnee befreit hatten, stieg ich ein und drehte den Schlüssel um. Ich erwartete, nur das bekannte Klicken zu hören, das Autos von sich geben, wenn sie den Dienst versagen, aber er sprang sofort an. Wir hätten nun nach Minneapolis zurückfahren können, aber wir beschlossen, in einem Motel zu übernachten. Am frühen Abend gingen wir in ein
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