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Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Titel: Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cheryl Strayed
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hinaus und ließ ihn schwer auf den Schotter am Straßenrand fallen. Der Aufprall war so heftig, dass ich befürchtete, der Wassersack könnte platzen. Ich kletterte hinaus, stellte den Rucksack aufrecht hin und klopfte den Staub ab.
    »Sie sind sicher, dass Sie ihn hochheben können?«, fragte er. »Ich habe es nämlich kaum geschafft.«
    »Klar kann ich ihn hochheben«, sagte ich.
    Er stand da, als warte er darauf, dass ich es bewies.
    »Danke fürs Mitnehmen«, sagte ich, denn ich wollte, dass er weiterfuhr. Ich brauchte keine Zeugen bei der erniedrigenden Prozedur, wie ich den Rucksack aufsetzte.
    Er nickte und schob die Seitentür zu. »Passen Sie auf sich auf da draußen.«
    »Wird gemacht«, sagte ich und sah zu, wie er in den Van stieg.
    Ich stand neben dem leeren Highway, nachdem sie weggefahren waren. Kleine Staubwolken wirbelten unter der sengenden Mittagssonne. Ich befand mich auf 1160 Meter Höhe, umringt von beigefarbenen, kargen Bergen, die mit Salbeisträuchern , Joshuabäumenund hüfthohem Chaparral gesprenkelt waren. Ich stand am Westrand der Mojave-Wüste und am südlichen Fuß der Sierra Nevada, jenes gewaltigen Gebirgszugs, der sich über 650 Kilometer weit nach Norden erstreckt bis zum Lassen Volcanic National Park, wo er in die Cascade Range übergeht, die sich von Nordkalifornien durch Oregon und Washington bis hinter die kanadische Grenze zieht. Diese beiden Gebirgszüge sollten in den nächsten drei Monaten meine Welt sein, ihre Kämme mein Zuhause. An einem Zaunpfahl hinter dem Straßengraben entdeckte ich ein handtellergroßes Wegzeichen aus Metall, auf dem Pacific Crest Trail stand.
    Ich war da. Endlich konnte es losgehen.
    Eigentlich wäre jetzt der richtige Moment für ein Foto gewesen, aber um die Kamera auszupacken, hätte ich so viele Ausrüstungsteile und Spanngummis entfernen müssen, dass ich es lieber gar nicht erst versuchte. Außerdem hätte ich etwas gebraucht, worauf ich die Kamera stellen konnte, um mich per Selbstauslöser zu fotografieren, und ich entdeckte nichts Geeignetes. Selbst der Pfosten, an dem die Wegmarkierung befestigt war, erschien mir zu morsch und zu wackelig. Stattdessen setzte ich mich auf den Boden vor den Rucksack, so wie ich es im Motelzimmer getan hatte, buckelte ihn, indem ich mich auf alle viere fallen ließ, und drückte mich in den Stand.
    Freudig erregt, nervös und halbwegs aufrecht, schnallte ich den Rucksack fest und legte taumelnd meine ersten Schritte auf dem Trail zurück bis zu einem braunen Blechkasten, der an einem anderen Zaunpfosten befestigt war. Ich hob den Deckel. Darunter lagen ein Buch und ein Stift. Es war das Trail-Register, von dem ich in meinem Wanderführer gelesen hatte. Ich trug meinen Namen und das heutige Datum ein und las die Namen und Einträge der Hiker, die in den letzten Wochen hier vorbeigekommen waren, fast ausschließlich Männer, die zu zweit wanderten, und keine einzige Frau, die allein unterwegs war. Ich verweilte noch etwas länger, mir der Feierlichkeit des Augenblicks bewusst, und begriff dann, dass es nichts weiter zu tun gab, als loszumarschieren.
    Also marschierte ich los.
    Der Trail führte eine Weile parallel zum Highway nach Osten, dann hinab in felsige Senken und wieder bergauf. Ich wandere!, dachte ich. Und dann: Ich wandere auf dem Pacific Crest Trail. Genau dieser Akt des Wanderns war es, der mich davon überzeugt hatte, dass eine solche Reise ein sinnvolles Unterfangen war. Was ist Wandern denn anderes als Gehen? Ich kann gehen!, hatte ich Paul entgegengehalten, als er Bedenken anmeldete, weil ich noch nie mit dem Rucksack unterwegs gewesen sei. Ich ging ständig. Als Bedienung ging ich stundenlang am Stück. Ich ging durch die Städte, in denen ich lebte und die ich besuchte. Ich ging zum Vergnügen und zu bestimmten Zwecken. Dies alles stimmte. Aber nach einer Viertelstunde auf dem PCT war klar, dass ich noch nie Anfang Juni durch ein Wüstengebirge »gegangen« war, und das mit einem Rucksack auf dem Buckel, der deutlich mehr als die Hälfte meines Körpergewichts wog.
    Und mit Gehen hatte das, wie sich zeigte, nur noch sehr entfernt zu tun. Tatsächlich würde man sich so eher einen Marsch durch die Hölle vorstellen.
    Ich geriet sofort ins Keuchen und Schwitzen. Staub klebte an meinen Stiefeln und Waden, als der Trail nach Norden abbog und stetig anstieg, statt abwechselnd bergauf und bergab zu führen. Jeder Schritt wurde zur Qual. Es ging immer höher und höher. Nur gelegentlich folgten

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