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Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Titel: Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cheryl Strayed
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nicht. Hör auf. Nie wieder. Aber am Nachmittag kam ich mit ein paar Geldscheinen zurück, kaufte wieder Heroin und dachte: Ja. Das muss ich tun. Ich muss mein Leben vergeuden. Ich muss vor die Hunde gehen.
    Aber es sollte nicht sein. Eines Tages rief mich Lisa an und wollte mich sehen. Ich war mit ihr in Kontakt geblieben, hing ganze Nachmittage bei ihr herum, ließaber nur andeutungsweise durchblicken, was ich so trieb. Als ich diesmal in ihre Wohnung kam, merkte ich sofort, dass etwas in der Luft lag.
    »Wie ist das mit dem Heroin?«, verlangte sie zu wissen.
    »Heroin?«, erwiderte ich leichthin. Was sollte ich schon sagen? Es war unerklärlich, selbst mir. »Ich werde kein Junkie, falls du dir deswegen Sorgen machst«, sagte ich schließlich. Ich lehnte an ihrer Küchenanrichte und sah zu, wie sie den Fußboden fegte.
    »Genau deswegen mache ich mir Sorgen«, sagte sie ernst.
    »Das brauchst du nicht«, sagte ich und erklärte es ihr so vernünftig und locker wie möglich. Es seien nur zwei Monate gewesen. Wir würden bald aufhören. Joe und ich wollten nur ein bisschen Spaß haben. »Wir haben Sommer!«, rief ich. »Erinnerst du dich, dass du mir vorgeschlagen hast hierherzukommen, um mal etwas Abstand von allem zu bekommen? Genau das tue ich.« Ich lachte, aber sie lachte nicht mit. Ich erinnerte sie daran, dass ich nie Probleme mit Drogen gehabt hatte, dass ich Alkohol nur in Maßen trank. Ich sei eben experimentierfreudig. Eine Künstlerin. Eine Frau, die Ja anstelle von Nein sage.
    Sie widersprach jeder meiner Behauptungen, zog jede meiner Rechtfertigungen in Zweifel. Sie fegte und fegte und fegte, während das Gespräch sich langsam zu einem Streit hochschaukelte. Schließlich wurde sie so wütend auf mich, dass sie mit dem Besen nach mir schlug.
    Ich kehrte in Joes Wohnung zurück, und wir redeten darüber, dass Lisa einfach nicht verstehen wolle.
    Zwei Wochen später rief Paul an.
    Er wollte mich sehen. Auf der Stelle. Lisa hatte ihm von Joe und meinem Heroinkonsum erzählt, darauf hatte er sich sofort ins Auto gesetzt und war die 2700 Kilometer von Minneapolis nonstop durchgefahren, um mit mir zu reden. Eine Stunde später traf ich mich mit ihm in Lisas Wohnung. Es war ein warmer, sonniger Tag Ende September. In der Woche davor war ich sechsundzwanzig geworden. Joe hatte nicht daran gedacht. Es war der erste Geburtstag in meinem Leben, an dem mir niemand alles Gute gewünscht hatte.
    »Alles Gute zum Geburtstag«, sagte Paul, als ich zur Tür hereinkam.
    »Danke«, sagte ich, zu förmlich.
    »Ich wollte dich anrufen, aber ich hatte deine Nummer nicht – ich meine, die von Joe.«
    Ich nickte. Es war komisch, ihn zu sehen. Meinen Mann. Ein Phantom aus meinem realen Leben. Der realste Mensch, den ich kannte. Wir saßen am Küchentisch. Die Äste eines Feigenbaums klopften gegen das Fenster, und der Besen, mit dem Lisa nach mir geschlagen hatte, lehnte an der Wand.
    »Du siehst verändert aus«, sagte er. »Du kommst mir so … wie soll ich sagen? Du kommst mir so vor, als wärst du gar nicht hier.«
    Ich wusste, was er meinte. Die Art, wie er mich ansah, sagte mir all das, was ich von Lisa nicht hatte hören wollen. Ich war verändert. Ich war nicht hier. Das Heroin hatte mich so gemacht. Und dennoch konnte ich mir nicht vorstellen, damit aufzuhören. Als ich Paul direkt ins Gesicht sah, begriff ich, dass ich nicht mehr klar denken konnte.
    »Sag mir einfach, warum du dir das antust«, verlangte er. Sein Gesicht, seine sanften Augen waren mir so vertraut. Er fasste über den Tisch und nahm meine Hände, und wir hielten uns gegenseitig und sahen einander in die Augen. Tränen liefen mir übers Gesicht, dann auch ihm. Er wollte, dass ich am Nachmittag mit ihm nach Hause fuhr. Nicht um wieder mit ihm zusammen zu sein, sondern um wegzukommen. Nicht von Joe, sondern vom Heroin.
    Ich antwortete, dass ich darüber nachdenken müsse. Ich fuhr in Joes Wohnung zurück, und da die Sonne schien, setzte ich mich in den Gartenstuhl, den Joe auf den Gehweg vor dem Haus gestellt hatte. Das Heroin hatte mich verblöden lassen und von mir selber entfernt. Kaum nahm ein Gedanke Gestalt an, verflüchtigte er sich wieder. Ich bekam meinen Verstand nicht mehr richtig in den Griff, auch wenn ich nichts genommen hatte. Wie ich so dasaß, kam ein Mann auf mich zu und stellte sich mir als Tim vor. Er ergriff meine Hand, schüttelte sie und sagte, dass ich ihm trauen könne. Er fragte mich, ob ich ihm drei Dollar für Windeln geben

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