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Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Titel: Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cheryl Strayed
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wusste es nicht.
    Ich wusste nur, dass es Zeit zum Aufbruch war, und so öffnete ich die Tür und trat ins Licht.

Teil Zwei –
Spuren
    Worte sind Ziele.
Worte sind Karten.
    Adrienne Rich
»Ins Wrack tauchen«
    Will you take me as I am?
Will you?
    Joni Mitchell
»California«

4 –
The Pacific Crest Trail,
Volume I: California
    Ich hatte in meinem Leben schon viele dumme und gefährliche Dinge getan, aber ich hatte noch nie einen Fremden angesprochen und ihn gebeten, mich in seinem Auto mitzunehmen. Ich wusste, dass Anhaltern grässliche Dinge passierten, besonders Frauen, die allein trampten. Sie wurden vergewaltigt und verstümmelt. Gequält und dem Tod überlassen. Doch als ich von White’s Motel zu der Tankstelle gegenüber ging, durfte ich mich von solchen Gedanken nicht beirren lassen. Wenn ich die neunzehn Kilometer nicht zu Fuß auf dem glühend heißen Randstreifen des Highways zurücklegen wollte, musste eine Mitfahrgelegenheit her.
    Außerdem gehörte es einfach dazu, dass PCT-Hiker gelegentlich trampten. Und ich war doch ein PCT-Hiker, oder? Oder?
    Ja.
    In The Pacific Crest Trail, Volume I: California wurde dieser Vorgang mit der üblichen Gelassenheit erklärt. An einigen Stellen kreuzte der PCT eine Straße, und ein paar Kilometer die Straße runter lag die Poststelle, an die der Wanderer das Versorgungspaket geschickt hatte, dessen Inhalt er auf der nächsten Etappe benötigte. Trampen war die einzige praktische Lösung, wenn es galt, diese Pakete zu holen und rasch wieder auf den Trail zurückzukehren.
    Ich stand neben den Getränkeautomaten außen an der Tankstelle, beobachtete Leute, die vor- und wieder wegfuhren, und versuchte, meinen Mut zusammenzunehmen und jemanden anzusprechen, wobei ich hoffte, ich würdeihmansehen, ob mir von ihm Gefahr drohte. Ich beobachtete alte, grauhaarige Männer mit Cowboyhüten, Familien, deren Autos bereits voll waren, und Teenager, die mit offenen Fenstern anhielten, aus denen laute Musik dröhnte. Niemand sah wie ein Mörder oder Vergewaltiger aus, doch andererseits sah auch niemand so aus, als wäre er keiner. Ich ließ mir eine Dose Coke heraus und trank sie mit einer gleichgültigen Miene, die darüber hinwegtäuschte, dass ich wegen des Wahnsinnsgewichts auf meinem Rücken gar nicht richtig stehen konnte. Schließlich gab ich mir einen Ruck. Es war fast elf, und die Hitze eines Junitags in der Wüste steuerte ihrem Höhepunkt entgegen.
    Ein Minivan mit Nummernschild aus Colorado hielt an, und zwei Männer stiegen aus. Ich trat auf sie zu und fragte, ob sie mich mitnehmen könnten. Sie zögerten und tauschten schweigend einen Blick. Ihre Gesichter verrieten, dass sie nach einem Vorwand suchten, mir einen Korb zu geben, und so plapperte ich wild drauflos und erzählte ihnen vom PCT.
    »Klar«, sagte der ältere schließlich mit sichtlichem Widerwillen.
    »Danke«, trällerte ich mädchenhaft und wankte zu dem Van. Der jüngere zog mir die große Seitentür auf. Ich spähte ins Wageninnere und begriff plötzlich, dass ich keine Ahnung hatte, wie ich hineinkommen sollte. Mit dem Rucksack auf dem Rücken jedenfalls nicht. Ich musste ihn abnehmen. Die Frage war nur, wie? Wenn ich die Schnallen von Hüftgurt und Schultergurten löste, würde er mit solcher Wucht nach hinten kippen, dass es mir die Arme abreißen könnte.
    »Brauchen Sie Hilfe?«, fragte der junge Mann.
    »Nein, es geht schon«, antwortete ich in gespielt lässigem Ton und tat das Einzige, was mir einfiel. Ich drehte mich mit dem Rücken zum Van, hielt mich an der Schiebetür fest, hockte mich auf den Türrahmen und setzte den Rucksack hinter mir auf dem Wagenboden ab. Welch eine Wohltat! Ich löste die Schnallen und schlüpfte vorsichtig aus den Gurten, damit der Rucksack nicht umkippte, dann drehte ich mich um, stieg ein und setzte mich daneben.
    Wir fuhren westwärts durch eine trockene Landschaft mit dürren Sträuchern und fahlen Bergen, die sich in der Ferne erstreckten. Unterwegs wurden die beiden Männer freundlicher. Sie waren Vater und Sohn, kamen aus einem Vorort von Denver und wollten zu einer Schulabschlussfeier in San Luis Obispo. Bald tauchte ein Wegweiser zum Tehachapi Pass auf. Der Ältere fuhr an die Seite und hielt an. Der Jüngere stieg aus und öffnete mir die Schiebetür. Ich wollte den Rucksack auf dieselbe Weise wieder aufsetzen, wie ich ihn abgenommen hatte, indem ich mir die Höhe des Wagenbodens zunutze machte, aber bevor ich aussteigen konnte, zog der Mann den Rucksack

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