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Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Titel: Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cheryl Strayed
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aufgewacht, und angesichts ihrer Symptome waren mittlerweile alle davon überzeugt, dass sie sich Giardien eingefangen hatten. Das sind im Wasser lebende Parasiten, die schweren Durchfall und Übelkeit verursachen, eine Behandlung mit rezeptpflichtigen Medikamenten erfordern und auf dem Trail fast immer mindestens eine Woche Zwangspause bedeuten. Sie waren der Grund, warum PCT-Wanderer immer so ausgiebig über Wasserfilter und dergleichen fachsimpelten. Jeder hatte Angst, einen Fehler zu machen und dafür büßen zu müssen. Ich hatte keine Ahnung, wo sich Matt und Albert infiziert hatten, aber ich hoffte inständig, dass ich verschont blieb. Am späten Nachmittag standen wir alle bei ihnen. Sie lagen schlapp und bleich auf der Plane, und wir überredeten sie, sich ins Krankenhaus nach Ridgecrest fahren zu lassen. Zu schwach, um sich zu widersetzen, sahen sie zu, wie wir ihre Ausrüstung zusammenpackten und ihre Rucksäcke hinten auf Eds Pick-up luden.
    »Danke, dass Sie mir geholfen haben, meinen Rucksack leichter zu machen«, sagte ich zu Albert, als wir vor der Abfahrt einen Augenblick allein waren. »Ohne Sie hätte ich das nie geschafft.«
    Er schenkte mir ein schwaches Lächeln und nickte.
    »Übrigens«, setzte ich hinzu, »wollte ich Ihnen noch sagen, warum ich mich zu der Wanderung auf dem PCT entschlossen habe. Ich habe eine Scheidung hinter mir. Ich war verheiratet und bin vor kurzem geschieden worden. Außerdem ist vor vier Jahren meine Mutter gestorben. Sie war erst fünfundvierzig und hat plötzlich Krebs bekommen. Es war für mich eine schwere Zeit, und irgendwie ist mein Leben aus der Bahn geraten. Deshalb bin ich hier …« Er sah mich mit großen Augen an. »Ich dachte, hier draußen könnte ich vielleicht wieder zu mir finden.« Ich machte eine unbeholfene Geste, da mir nichts mehr einfiel, selbst etwas erstaunt über meine Redseligkeit.
    »Und jetzt wissen Sie wieder, wo es langgeht?«, sagte er, setzte sich auf und strahlte mich trotz seiner Übelkeit an. Er erhob sich, ging langsam zu Eds Pick-up und stieg neben seinem Sohn ein. Ich kletterte auf die Ladefläche zu ihren Rucksäcken und dem Karton mit meinen ausrangierten Sachen und fuhr bis zum Gemischtwarenladen mit. Dort angekommen, hielt Ed kurz an. Ich stieg mit meinem Karton aus, winkte Albert und Matt und rief: »Viel Glück!«
    Leichte Wehmut überkam mich, als ich sie wegfahren sah. Ed würde in ein paar Stunden zurückkommen, aber Albert und Matt würde ich höchstwahrscheinlich nie wiedersehen. Am nächsten Morgen würde ich mit Doug und Tom in die High Sierra aufbrechen und mich auch von Ed und Greg verabschieden müssen – Greg legte in Kennedy Meadows noch einen Ruhetag ein. Natürlich würde er mich bald einholen, aber es würde bei einer flüchtigen Begegnung bleiben, und dann würde auch er wieder aus meinem Leben verschwinden.
    Ich erklomm die Veranda des Gemischtwarenladens und legte alle meine Sachen in die Umsonstkiste, bis auf die Klappsäge, das Hightech-Blitzgerät für meine Kamera und das Minifernglas. Die packte ich in den Karton meines Versorgungspakets und schickte sie an Lisa in Portland. Als ich den Karton mit Klebeband, das ich mir von Ed geliehen hatte, zuklebte, hatte ich das komische Gefühl, dass etwas fehlte.
    Später, als ich zum Zeltplatz zurückging, kam ich dahinter, was es war: die dicke Rolle Kondome.
    Sie waren alle weg.

Teil Drei –
Das Gebirge
des Lichts
    Wir sind jetzt in den Bergen,
und sie sind in uns.
    JOHN MUIR
My First Summer in the Sierra
    Wenn dein Mut sich dir verweigert –
geh über deinen Mut hinweg –
    EMILY DICKINSON

8 –
Rabenkunde
    Kennedy Meadows wird auch das Tor zur High Sierra genannt, und durch dieses Tor schritt ich am nächsten Morgen in aller Frühe. Doug und Tom begleiteten mich, aber nach den ersten paar hundert Metern blieb ich stehen und sagte zu ihnen, sie sollten weitergehen, da ich etwas aus meinem Rucksack holen müsse. Wir umarmten uns, wünschten einander alles Gute und nahmen Abschied, ob für immer oder für fünf Minuten, wussten wir nicht. Ich lehnte mich mit dem Rucksack gegen einen Felsblock, um meinen Rücken etwas zu entlasten, und schaute ihnen nach.
    Ich war traurig über die Trennung, allerdings auch erleichtert, als ich sie unter den dunklen Bäumen verschwinden sah. Ich hatte nichts aus meinem Rucksack holen müssen. Ich hatte nur allein sein wollen. Alleinsein war für mich schon immer wie ein richtiger Ort gewesen, als wäre es kein Zustand,

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