Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)
beide mit einem Pferdeanhänger nach Norden. Ihre Weide nahm ein Viertel unserer sechzehn Hektar ein.
Als ich fast drei Jahre nach dem Tod meiner Mutter Anfang Dezember nach Hause fuhr, um Eddie zu besuchen, war ich schockiert über Ladys abgemagerten und schwachen Zustand. Sie war jetzt fast einunddreißig, was für ein Pferd sehr alt ist, und selbst wenn es möglich gewesen wäre, sie wieder hochzupäppeln, hätte niemand die Zeit dazu gehabt. Eddie und seine Freundin lebten abwechselnd in dem Haus, in dem ich aufgewachsen war, und in einem Wohnwagen in einer Kleinstadt nahe Minneapolis. Die zwei Hunde, zwei Katzen und vier Hühner, die wir beim Tod meiner Mutter noch besessen hatten, waren entweder gestorben oder weggegeben worden. Nur die beiden Pferde, Roger und Lady, waren noch übrig. Oft wurden sie nur notdürftig von einem Nachbarn versorgt, den Eddie dafür angeheuert hatte.
Bei meinem Besuch Anfang Dezember sprach ich Eddie auf Ladys Zustand an. Zuerst reagierte er aggressiv und sagte, er wisse nicht, warum die Pferde sein Problem seien. Ich wollte nicht mit ihm darüber streiten, warum er, als Witwer meiner Mutter, für ihre Pferde verantwortlich war. Ich sprach nur über Lady und bestand darauf, sich auf einen Plan zu verständigen, und nach einer Weile mäßigte er seinen Ton, und wir kamen überein, Lady einschläfern zu lassen. Sie war alt und krank, hatte erschreckend an Gewicht verloren, und ihre Augen waren trübe geworden. Ich hatte bereits mit dem Tierarzt gesprochen. Er war bereit, zu uns herauszukommen und Lady mit einer Spritze einzuschläfern. Eine andere Möglichkeit war, sie zu erschießen.
Eddie war für Letzteres. Wir waren beide völlig pleite. Außerdem wurden Pferde seit Generationen auf diese Weise von ihren Leiden erlöst. Seltsamerweise erschien uns das beiden humaner – wenn sie durch die Hand von jemandem starb, den sie kannte und dem sie vertraute, und nicht durch die Hand eines Fremden. Eddie versprach mir, das zu übernehmen, bevor Paul und ich in ein paar Wochen, zu Weihnachten, wiederkämen. Es sollte kein Familientreffen werden: Paul und ich würden in dem Haus allein sein. Eddie hatte die Absicht, Weihnachten bei seiner Freundin und deren Kindern zu verbringen. Und auch Karen und Leif hatten eigene Pläne – Leif wollte bei der Familie seiner Freundin feiern und Karen mit ihrem Mann, den sie in dem Jahr geheiratet hatte.
Ich hatte ein ungutes Gefühl, als ich ein paar Wochen später an Heiligabend mit Paul in die Zufahrt einbog. Immer wieder hatte ich mir vorgestellt, wie es sein würde, auf die Weide zu blicken und nur Roger zu sehen. Doch als ich aus dem Wagen stieg, war Lady noch da. Sie stand in ihrem Stall, zitternd und bis auf die Knochen abgemagert. Der bloße Anblick tat weh. Es war klirrend kalt mit Rekordtemperaturen um dreißig Grad unter null, und der Wind ließ es noch kälter erscheinen.
Ich rief Eddie nicht an, um zu fragen, warum er sein Versprechen nicht gehalten hatte. Stattdessen rief ich den Vater meiner Mutter in Alabama an. Er war sein Leben lang geritten. Wir sprachen eine Stunde lang über Lady. Er stellte mir eine Frage nach der anderen, und am Ende des Gesprächs bestand er darauf, dass sie sofort eingeschläfert werden müsste. Ich sagte ihm, dass ich eine Nacht darüber schlafen müsse. Am nächsten Morgen klingelte kurz nach Tagesanbruch das Telefon.
Es war mein Großvater. Aber er rief nicht an, um mir fröhliche Weihnachten zu wünschen. Er rief an, um mich zu bitten, sofort etwas zu unternehmen. Lady eines natürlichen Todes sterben zu lassen sei grausam und unmenschlich, sagte er, und ich wusste, dass er recht hatte. Ich wusste auch, dass es meine Aufgabe war, das Notwendige zu tun. Ich hatte nicht das Geld, den Tierarzt zu rufen, und selbst wenn ich es gehabt hätte, bezweifelte ich, dass er an Weihnachten zu uns herausgekommen wäre. Mein Großvater erklärte mir in allen Einzelheiten, wie man ein Pferd erschoss. Als ich sagte, dass ich Angst davor hätte, versicherte er mir, dass es schon immer so gemacht worden sei. Außerdem wusste ich nicht, was ich mit Ladys Kadaver anfangen sollte. Der Boden war so tief gefroren, dass begraben unmöglich war.
»Lass sie liegen«, sagte er. »Die Kojoten werden sie holen.«
»Was soll ich nur tun?«, schrie ich Paul an, nachdem ich aufgelegt hatte. Wir wussten es nicht, aber es war unser letztes gemeinsames Weihnachten. Ein paar Monate später beichtete ich ihm meine Seitensprünge, und er
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