Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)
Waschbären. »Ich will doch nur … Ich störe hier doch überhaupt nicht. Ich meine, niemand würde den Platz nutzen, selbst wenn ich nicht hier wäre«, sagte ich ruhig in einem letzten Versuch, sie umzustimmen, von Frau zu Frau.
»Wir sagen ja nicht, dass Sie gehen müssen«, schrie sie mich an wie einen Hund, den sie zum Schweigen bringen wollte. »Wir sagen nur, dass Sie bezahlen müssen!«
»Ich kann aber nicht.«
»Gleich hinter den Waschräumen beginnt ein Weg, der zum PCT führt«, sagte die Frau und deutete hinter sich. »Sie können aber auch an der Straße entlanggehen, etwa anderthalb Kilometer. Ich glaube, an der Straße lang ist kürzer. Wir lassen die Scheinwerfer an, solange Sie zusammenpacken«, sagte sie und stieg zu ihrem Mann in den Pick-up. Ihre Gesichter waren hinter den Scheinwerfern nicht mehr zu sehen.
Ich drehte mich fassungslos meinem Zelt zu. Irgendwann hatte ich auf der Wanderung ja mal Leuten begegnen müssen, die alles andere als freundlich waren. Ich kroch hinein, setzte mit zitternden Händen die Stirnlampe auf und stopfte alles, was ich ausgepackt hatte, in den Rucksack zurück, ohne auf die sonstige Ordnung zu achten. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Es war mittlerweile stockdunkel, nur ein Halbmond stand am Himmel. Das Einzige, was mir mehr Angst machte als die Vorstellung, im Dunkeln auf einem unbekannten Weg zu wandern, war, im Dunkeln an einer unbekannten Straße entlangzugehen. Ich setzte das Monster auf und winkte dem Paar in dem Pick-up zu. Ob sie zurückwinkten, war nicht zu sehen.
Ich trug die Stirnlampe in der Hand. Die Batterien waren so schwach, dass ich kaum erkennen konnte, wo ich hintrat. Ich folgte dem Asphalt bis zu den Waschräumen und entdeckte dahinter den Weg, den die Frau erwähnt hatte. Zögernd ging ich ein paar Schritte. Ich fühlte mich inzwischen sicher im Wald, sogar bei Nacht, aber im Dunkeln durch den Wald zu gehen war etwas ganz anderes, denn ich konnte nichts sehen. Ich konnte auf Nachttiere stoßen oder über eine Wurzel stolpern. Ich konnte eine Abzweigung verpassen und von der gewünschten Richtung abkommen. Ich ging langsam, nervös, wie auf den ersten Kilometern meiner Wanderung, als ich jede Sekunde befürchtete, von einer Klapperschlange angefallen zu werden.
Nach einer Weile traten schemenhaft Bäume aus dem Dunkel hervor. Ich war in einem Wald aus hohen Kiefern und Fichten, deren kahle gerade Stämme sich weit über mir zu einem dichten Dach verzweigten. Zu meiner Linken gluckerte ein Bach, und unter meinen Stiefeln knisterte ein weicher, trockener Nadelteppich. Ich marschierte so konzentriert wie noch nie und spürte den Pfad und meinen Körper deswegen intensiver als sonst, als wäre ich nackt und barfüßig. Ich musste daran denken, wie ich als Kind reiten gelernt hatte. Meine Mutter hatte es mir beigebracht, mit ihrem Pferd, das Lady hieß. Ich saß im Sattel, und sie ließ Lady an einer Longe im Kreis laufen. Anfangs hielt ich mich ängstlich mit beiden Händen an der Mähne fest, selbst wenn Lady nur im Schritt ging, aber mit der Zeit wurde ich kühner, und meine Mutter forderte mich auf, die Augen zu schließen und zu erspüren, wie sich das Pferd unter mir bewegte und wie mein Körper seine Bewegungen mitmachte. Später tat ich dasselbe mit weit ausgebreiteten Armen und überließ meinen Körper ganz Ladys Bewegungen, wenn wir im Kreis ritten.
Ich folgte dem Pfad ungefähr zwanzig Minuten, dann lichtete sich der Wald. Ich nahm den Rucksack ab, kroch im Schein der Stirnlampe auf allen vieren auf dem Boden herum und untersuchte die Stelle. Sie machte einen ganz passablen Eindruck. Ich baute mein Zelt auf, kroch hinein und schlüpfte in meinen Schlafsack, obwohl ich jetzt überhaupt nicht mehr müde war, da ich nach der Vertreibung und der nächtlichen Wanderung unter Strom stand.
Ich schlug Dresden, Pennsylvania auf, aber meine Stirnlampe flackerte und wurde immer schwächer. Ich schaltete sie aus und blieb im Dunkeln liegen. Ich schlang die Arme um mich und strich mir selbst über die Oberarme. Ich spürte das Tattoo unter den Fingern meiner rechten Hand, konnte immer noch die Umrisse des Pferdes nachfahren. Die Tätowiererin hatte gesagt, dass es noch ein paar Wochen hervorstehen würde, aber mittlerweile waren Monate vergangen, und es hatte sich nichts geändert, als wäre das Pferd in meine Haut geprägt und nicht mit Tinte gestochen. Es war nicht irgendein Pferd, dieses Tattoo. Es war Lady – das Pferd, von dem
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