Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)
hatte meine Mutter oft gesagt.
Als die jungen Frauen mit ihrem Van auf dem schmalen Highway rechts ranfuhren, verdeckten die hohen Bäume am Straßenrand die untergehende Sonne fast vollständig. Ich dankte ihnen fürs Mitnehmen und sah mich um, als sie weiterfuhren. Ich stand neben einem Wegweiser der Forstverwaltung zum WHITEHORSE CAMPGROUND. Der PCT sei gleich dahinter, hatten die beiden Frauen mir beim Aussteigen gesagt. Ich hatte mir nicht die Mühe gemacht, während der Fahrt einen Blick in die Karte zu werfen. Nach den Tagen ständiger Wachsamkeit war ich es leid, immer wieder im Wanderführer nachzusehen. Ich hatte einfach nur die Fahrt genossen und darauf vertraut, dass die beiden schon wussten, wo sie hinfuhren. Von dem Campingplatz aus, so hatten sie gesagt, hätte ich nur noch ein kurzes Stück bis zum PCT zu gehen. Ich folgte dem gewundenen asphaltierten Weg in Richtung Zeltplatz und las im Gehen die frischen Seiten, die ich aus meinem Wanderführer herausgerissen hatte. Im Dämmerlicht war der Text nur schwer zu entziffern. Mein Herz tat vor Erleichterung einen Sprung, als ich auf das Wort WHITEHORSE CAMPGROUND stieß, und rutschte mir gleich darauf in die Hose, als ich weiterlas und erfuhr, dass ich bis zum PCT gut drei Kilometer zu gehen hatte. »Gleich dahinter« hatte für die Frauen in dem Van offensichtlich eine andere Bedeutung als für mich.
Auf dem Campingplatz angekommen, sah ich mich ein wenig um. Wasserhähne, ein paar braune Sanitärhäuschen und eine große Tafel, auf der erklärt wurde, wie man für eine Übernachtung bezahlen sollte, nämlich indem man einen Umschlag mit dem Geld in einen Holzkasten mit Schlitz warf. Abgesehen von ein paar Wohnmobilen und vereinzelten Zelten war der Campingplatz gespenstisch leer. Ich folgte dem asphaltierten Weg noch ein Stück und überlegte, was ich tun sollte. Ich hatte kein Geld für die Campinggebühr, aber es war zu dunkel, um jetzt noch in den Wald zu gehen. Ich entdeckte einen Platz ganz am Rand des Geländes, fernab von der Tafel mit den Zahlungsmodalitäten. Wer sollte mich hier schon sehen?
Ich baute mein Zelt auf, kochte und aß im Schein meiner Stirnlampe luxuriös an dem Picknick-Tisch. Dann pinkelte ich bequem in dem Plumpsklo, kroch in mein Zelt und schlug Dresden, Pennsylvania auf. Ich hatte vielleicht drei Seiten gelesen, als das Zelt plötzlich in helles Licht getaucht wurde. Ich öffnete den Reißverschluss am Eingang und schlüpfte hinaus. Ein älteres Paar stand im blendenden Scheinwerferlicht eines Pick-ups.
»Hallo«, grüßte ich zögernd.
»Sie müssen für den Platz bezahlen«, bellte die Frau als Antwort.
»Ich muss bezahlen?«, fragte ich mit gespielter Arglosigkeit und Überraschung. »Ich dachte, nur Leute mit Autos müssen bezahlen. Ich bin zu Fuß. Ich habe nur einen Rucksack dabei.« Das Paar hörte schweigend zu, Zorn in den runzeligen Gesichtern. »Morgen früh bin ich ganz schnell weg. Spätestens um sechs.«
»Wenn Sie hierbleiben wollen, müssen Sie bezahlen«, wiederholte die Frau.
»Das macht zwölf Dollar für die Nacht«, setzte der Mann keuchend hinzu.
»Ich habe aber zufällig überhaupt kein Geld bei mir. Ich mache eine Fernwanderung. Ich wandere auf dem Pacific Crest Trail. Nur leider liegt in den Bergen eine Menge Schnee. Es ist ein Rekordjahr. Na, jedenfalls habe ich den Trail verlassen. Ich wollte eigentlich gar nicht hierher, aber die Frauen, die mich im Auto mitgenommen haben, haben mich versehentlich an einer falschen Stelle abgesetzt, und jetzt …«
»Das ändert nichts daran, dass Sie bezahlen müssen, junge Frau«, brüllte der Mann zu meiner Überraschung mit einer Stimme wie ein Nebelhorn und brachte mich zum Verstummen.
»Wenn Sie nicht bezahlen können, müssen Sie zusammenpacken und weiterziehen«, sagte die Frau. Sie trug ein Sweatshirt, auf dem zwei Waschbärenbabys schüchtern aus einer Baumhöhle spähten.
»Hier ist doch überhaupt niemand! Außerdem ist es mitten in der Nacht! Wen stört es denn, wenn ich einfach …«
»So sind die Vorschriften«, stieß der Mann hervor, drehte sich um und stieg, fertig mit mir, wieder in den Pick-up.
»Tut uns leid, Miss, aber wir führen hier die Aufsicht und haben dafür zu sorgen, dass sich jeder an die Vorschriften hält«, sagte die Frau. Ihre Miene besänftigte sich kurz entschuldigend, dann schürzte sie die Lippen und setzte hinzu: »Wir würden nur sehr ungern die Polizei rufen.«
Ich senkte den Blick und sprach zu den
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