Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]
Schwäche meiner eigenen Lebensgeschichten, ohne welche ich ja nicht hierher verschlagen worden wäre. Ich nahm mir im stillen vor, den Stab so bald als möglich weiterzusetzen, und als nach Tisch davon die Rede war, wie der Rest des Tages zuzubringen sei, drückte ich den Wunsch aus, vor allem einen Handwerker zu finden, der die Blendrahmen für die wiederherzustellenden Kartons anfertigen könne. Der Kaplan anerbot sich, mich zum Dorfschreiner zu bringen, welcher der einfachen Arbeit ohne Zweifel gewachsen sei. Als man nun auch der Unterlage für die zusammenzufügenden Fragmente gedachte, zeigte es sich, daß in der Pfarrwohnung, deren Unterhaltungspflicht dem Grafen als Patronatsherren oblag, soeben ein Tapezierer aus der Nachbarstadt beschäftigt war, die Wohnstube des Kaplans mit einem frischen Wandschmucke zu versehen.
»Er hat genug Papierwerk bei sich, um die Rahmen zu beziehen«, sagte der Geistliche, »langes Maschinenpapier, das er unter die Tapete legt, damit ich hübsch warm bekomme!«
»Das genügt mir nicht«, versetzte der Graf, »es muß ein festes Tuch sein, damit es vorhält. Da der Mann zugleich Matratzen macht, so wird er dergleichen wohl beibringen können. Indessen macht ihm Herr Lee vorläufig die nötige Bestellung. Dann mögen beide, der Tischler und der Tapezierer, jener mit den gehobelten Leisten, dieser mit dem Tuche, hierherkommen und die Rahmen unter Aufsicht nach den genauen Maßen zuschneiden und fertigmachen!«
Der Betätigung froh, begab ich mich mit dem Kaplan auf den Weg nach dem sehr ansehnlichen Worte in welchem die Hauptkirche von neuerer Bauart stand. Den Namen führte es gemeinschaftlich mit dem Grafen-oder frühern Freiherrengeschlecht, und der Kaplan, der mich fortwährend kurzweilig unterhielt, zeigte mir auf einem Bergrücken die grauen Trümmer des ursprünglichen Stammsitzes. Vergnüglich besorgte ich unter seiner Führung das kleine Geschäft und kehrte nach einem langen Spaziergange, den ich für mich allein unternahm, in das Schloß zurück.
Der Graf war ausgeritten; nach dem Fräulein zu fragen, hielt ich nicht für schicklich. Ich verweilte daher einsam auf der Terrasse und besah mir die Abendwolken, diese freundlichen Begleiter, die sich unermüdlich auflösen und wieder bilden, um zu Tausenden von Malen die irrenden Augen an sich zu ziehen und auf sich ruhen zu lassen. Welch ein Haushalt, dachte ich, drin das unentbehrlichste Existenzmittel zugleich einen unerschöpflichen Überfluß an Schaugebilden schafft für arm und reich, jung und alt, in allen Lagen ein Spiegel des Gemütes und sein stiller Richter, der alles sieht!
Aus dieser sanftmütigen Betrachtung weckte mich Dorotheas elastischer Schritt, der mir bereits nicht mehr unbekannt war. Sie stieg rasch die Stufen der Terrasse herauf, mein schönes grünes Buch in der Hand.
»So allein läßt man Sie?« rief sie mir entgegen; »wissen Sie, wo ich herkomme? Von dem Kirchhof, dort habe ich in Ihrem Schreibbuche gelesen, die Geschichte von der kleinen Meret, die nicht beten wollte! Durfte ich es auch, und darf ich mehr darin lesen? Papa hat ein paar Stunden heute nachmittag darüber zugebracht und mir dann das Buch gegeben, damit ich die Geschichte lese. Sehen Sie, hier hab ich ein Efeublatt von einem Kindergrabe hineingelegt! Aber nun müssen Sie unsereinem auch die Hand geben, wenn man sich begegnet; denn nun sind Sie uns schon näher bekannt!«
Elftes Kapitel
Dortchen Schönfund
Nach einigen Tagen war ich mit dem Ordnen der Studienblätter und der Wiederherstellung der größeren und kleineren Kartonlandschaften zu Ende.
Die letzteren waren vorläufig, bis die aus der Hauptstadt zu beziehenden Einfassungen anlangten, an die ihnen bestimmten Orte gehängt worden, wo der Graf sie abwechselnd mit Zufriedenheit betrachtete. Ohne einen größern Wert beanspruchen zu können, erhöhten sie in der Tat den malerisch ernsten Anblick des Bibliotheksaales und verschafften mir das wohltuende Gefühl, sie als Zeugnisse ehrlichen Wollens an solcher Stelle gerettet zu wissen, wie ich schon bemerkt habe. Dazu ließ es der Graf nicht an aufrichtenden Äußerungen fehlen.
»Mögen Sie die künstlerische Laufbahn fortsetzen oder nicht«, sagte er, »so werden mir die Bilder fast gleich wert bleiben, im ersten Falle als Wegezeichen eines Entwicklungsganges, im andern als Illustration oder Ergänzung Ihrer Jugendgeschichte, die ich nun durchgelesen habe. Jeder braucht Liebhabereien; die meinigen dehne ich nun aus auf
Weitere Kostenlose Bücher