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Der Grüne Strahl

Der Grüne Strahl

Titel: Der Grüne Strahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Herzen gewiß kräftiger und schnell, aber unisono
    klopfen gefühlt.
    Was Miss Campbell betrifft, so hätte sich der so bedau-
    erte Horizont länger ihrer Bewunderung dargeboten. Von
    der Spitze von Arran bis zum Vorgebirge Cantyre liegt das
    Meer nämlich nach Süden zu offen; vom Mull of Cantyre
    bis zur äußersten Spitze von Islay dehnt es sich nach Westen
    hin frei aus, das heißt, hier glitzert die ungeheure Wasser-
    fläche, die erst die Küste Amerikas in einer Entfernung von
    3.000 Meilen begrenzt.
    Dieser Weg aber ist lang, manchmal beschwerlich, wenn
    nicht gar gefährlich, und ein Passagierdampfer muß auch
    mit denjenigen Touristen rechnen, die vor den Wechselfäl-
    len einer oft stürmischen Fahrt zurückschrecken, wenn es
    gilt, der starken hohlen See in der Gegend der Hebriden
    Trotz zu bieten.
    Die Ingenieure – Lesseps im kleinen – haben die Idee ge-
    habt, aus dieser Halbinsel von Cantyre eine wirkliche Insel
    zu machen. Dank ihren Arbeiten, ist in deren nördlichem
    Teil der Kanal von Crinan ausgehoben worden; er verkürzt
    die Reise um wenigstens 200 Meilen und erfordert nur 3 bis
    4 Stunden zur Durchfahrt.
    Auf diesem Weg hielt sich die ›Columbia‹ auf ihrer Fahrt
    nach Oban, immer zwischen den Lochs und Meerengen, mit
    keinem anderen Ausblick als den auf Küsten, Wälder und
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    Berge. Von allen Passagieren war übrigens Miss Campbell
    zweifellos die einzige, welche die andere Route vorgezogen
    hätte, doch sie mußte sich wohl oder übel fügen. Voraus-
    sichtlich fand sie ja den ersehnten Meereshorizont ein we-
    nig oberhalb des Kanals von Crinan, einige Stunden später
    und jedenfalls noch eher wieder, als die Sonne ihre Scheibe
    ins Meer versenken konnte.
    In dem Augenblick, als die Touristen, die sich im ›dining-
    room‹ ein wenig verspätet hatten, auf das Deck zurückka-
    men, berührte die ›Columbia‹ am Eingang des Loch Rid-
    den fast die kleine Insel Elbangreig, die letzte Veste, auf die
    sich der Herzog von Argyle flüchtete, ehe der im Kampf für
    die politische und religiöse Befreiung Schottlands ehrenvoll
    unterlegene Held seinen Kopf nach Edinburgh unter das
    Fallbeil der schottischen Guillotine trug. Dann wandte sich
    der Dampfer wieder nach Süden, ging die Meerenge von
    Bute hinunter inmitten jenes bewunderungswürdigen Pa-
    noramas von baumlosen oder bewaldeten Inseln, über de-
    nen ein leichter Dampf zu ruhen schien, der ihre schroffen
    Profile abrundete. Nachdem er endlich das Kap Ardlamont
    umschifft hatte, schlug er durch den Loch Fyne wieder eine
    nördliche Richtung ein, ließ auf der Küste von Cantyre das
    Dorf East Tarbert zur Linken, glitt am Kap Ardrishaig hin
    und erreichte an der Burg von Lochgilphead den Eingang
    des Kanals von Crinan.
    Hier mußten die Reisenden die ›Columbia‹ verlassen, die
    für die Dimensionen des Kanals zu groß ist. Dieser Durch-
    stich, dessen Niveau-Unterschied durch 15 Schleusen aus-
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    geglichen wird, eignet sich in seinem 9 Meilen langen Lauf
    nur für schmale Fahrzeuge von geringem Tiefgang.
    Ein kleines Dampfboot, die ›Linnet‹, erwartete die Pas-
    sagiere der ›Columbia‹. Der Umstieg ging binnen wenigen
    Minuten vonstatten. Jedermann richtete sich nach Belieben
    auf dem Spardeck des Dampfers ein; dann schlüpfte die
    ›Linnet‹ raschen Laufs zwischen den Rändern des Kanals
    hin, während ein ›Bagpiper‹, das ist ein Dudelsackpfeifer
    im Nationalkostüm, sein Instrument ertönen ließ. Es gibt
    kaum etwas Melancholischeres als jene wunderlichen Lie-
    der, die von den Baßtönen dreier Schnarrpfeifen begleitet
    werden, die nur zwei Töne zu erzeugen imstande sind, wäh-
    rend ihnen die Halbtöne gänzlich fehlen, ganz wie in den
    alten Weisen vergangener Jahrhunderte.
    Es ist eine reizende Fahrt durch diesen Kanal, der bald
    zwischen hohen steilen Ufern sich hinwindet, bald sich der
    Seite eines mit Gebüsch bestandenen Hügels anschmiegt,
    der hier durch offenes Land verläuft, dort sich durch enge
    Felsenmauern zwängt. An den Schleusen gibt es selbstver-
    ständlich einigen Aufenthalt. Während die betreffenden
    Leute das Schiff möglichst rasch heben oder senken, bieten
    junge Männer und junge Mädchen, die Kinder des Landes,
    den Touristen frisch gemolkene Milch an und sprechen da-
    bei jenes gälische Idiom, dessen sich die alten Kelten der-
    einst bedienten, eine Sprache, die ein Fremder gar nicht und
    selbst ein Engländer nur selten versteht.
    6 Stunden später – an einer

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