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Der Grüne Strahl

Der Grüne Strahl

Titel: Der Grüne Strahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Dampfer nach
    Westen bei. Der Maschinist erhielt Befehl, Volldampf zu ge-
    ben, und die ›Glengarry‹ ließ bald die Spitze der Insel Jura
    zur Linken liegen.
    An Bord sprach kein Mensch ein Wort. Aller Augen hin-
    gen in ängstlicher Spannung an der immer deutlicher sicht-
    bar werdenden Schaluppe.
    Es war nur ein kleines Fischerboot, dessen Mast die In-
    sassen niedergelegt hatten, wahrscheinlich um den Gegen-
    stoß zu vermeiden, den der heftige Anprall der Wellen hätte
    erzeugen müssen.
    Von den beiden Männern, die sich in dem Fahrzeug be-
    fanden, lag der eine nah dem hinteren Ende ausgestreckt;
    der andere bemühte sich mit aller Anstrengung seiner
    Kräfte, dem Mittelpunkt der Anziehungskraft des Wassers
    fernzubleiben. Gelang ihm das nicht, waren beide unrett-
    bar verloren.
    Eine halbe Stunde später erreichte die ›Glengarry‹ die
    Grenze des Corryvrekan und begann schon unter den ers-
    ten Wellenbergen furchtbar zu stampfen; doch niemand an
    Bord beschwerte sich darüber, obgleich die Heftigkeit der
    Strömung wohl dazu angetan war, einfache Touristen zu er-
    schrecken.
    In diesem Teil der Meerenge erschien das Wasser gleich-
    mäßig weiß, als wenn wenigstens ein Dreireffwind darüber
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    bliese. Man gewahrte nichts als eine ungeheure Fläche von
    Schaum, der bei der relativ geringen Tiefe des Wassers zu
    ungeheuren Bergen aufwallte.
    Die Schaluppe war nur noch eine halbe Meile entfernt.
    Von den beiden Insassen machte der, welcher die Riemen
    führte, ungeheure Anstrengungen, sich aus dem Wirbel zu
    befreien. Er begriff recht gut, daß die ›Glengarry‹ ihm zu
    Hilfe kam, aber er sah wohl ein, daß der Dampfer nicht viel
    weiter vorwärts laufen konnte und es seine Sache war, ihn
    zu erreichen. Sein im Heck liegender Gefährte schien be-
    wußtlos zu sein.
    Eine Beute der quälendsten Aufregung, hafteten Miss
    Campbells Blicke zuerst auf diesem Boot in höchster See-
    not, das sie zuerst auf dem Wasser des Strudels entdeckt,
    und auf das, dank ihrer inständigen Bitte, die ›Glengarry‹
    jetzt zuhielt.
    Inzwischen gestaltete sich die Situation immer kriti-
    scher. Man mußte befürchten, daß der Dampfer sein Ziel
    nicht rechtzeitig erreichte. Er bewegte sich jetzt nur mit ver-
    minderter Geschwindigkeit, um jedenfalls einer ernstliche-
    ren Beschädigung zu entgehen, und dennoch drohten die
    ihn von vorn packenden Wogen schon die Lichtöffnung des
    Maschinen- und Heizraums zu überschäumen, wobei das
    Wasser unabwendbar die Kesselfeuer löschen mußte, eine
    Möglichkeit, die inmitten dieser entsetzlichen Strömung
    von den gefährlichsten Folgen hätte sein müssen.
    Auf die Eisenstangen am Rand der Kommandobrücke
    gestützt, achtete der Kapitän darauf, in dem Kanal nicht
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    vom Kurs abzukommen, und manövrierte mit Geschick,
    damit das Schiff sich nicht in der Breite gegen die Strömung
    legte.
    Der Schaluppe gelang es übrigens nicht, sich selbst aus
    dem Strudel ganz zu befreien. Zeitweilig verschwand sie
    vollkommen hinter einem riesigen Wogenschwall; zeit-
    weilig wieder schoß sie, von der konzentrischen Strömung
    des Strudels erfaßt, dessen Schnelligkeit sich in gleichmä-
    ßigem Verhältnis mit dem zunehmenden Umfang vergrö-
    ßerte, mit der Geschwindigkeit eines Pfeils oder richtiger
    eines am Ende einer Schleuder sich kreisförmig bewegen-
    den Steins dahin.
    »Schneller, schneller!« drängte Miss Campbell, die ihre
    ängstliche Ungeduld nicht zu beherrschen vermochte.
    Beim Anblick der sich überstürzenden, brodelnden Was-
    serberge ließen einzelne Passagiere jedoch schon dann und
    wann einen leisen Schrei des Schreckens ertönen. In Erwä-
    gung der auf ihm lastenden Verantwortung zögerte der Ka-
    pitän, weiter in die enge Fahrstraße des Corryvrekan vor-
    zudringen.
    Die Schaluppe und die ›Glengarry‹ trennte inzwischen
    kaum noch die Entfernung einer halben Kabellänge, das
    heißt ein Abstand von 300 Fuß, auch konnte man jetzt deut-
    lich die beiden Unglücklichen erkennen, die darin ihrem

Verderben entgegeneilten.
    Es war ein bejahrterer Seemann und ein junger Mann,
    der erstere im Heck ausgestreckt liegend, während der
    zweite sich mit den langen Riemen abquälte.
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    In diesem Moment schnellte eine ungeheure Woge den
    Dampfer hoch empor und brachte ihn in eine recht bedroh-
    liche Lage.
    In der Tat, der Kapitän durfte nicht weiter in die Meer-
    enge hineindampfen und hatte allein Mühe genug, das
    Schiff durch langsame Drehung

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