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Der Grüne Strahl

Der Grüne Strahl

Titel: Der Grüne Strahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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jeden
    anderen ebenfalls und, glaub mir, was auch jeder andere an
    meiner Stelle getan hätte.«
    »Würden Sie ihn wiedererkennen?« fragte Mrs. Bess, das
    junge Mädchen schärfer ansehend.
    »Ja«, erklärte Miss Campbell offenherzig, »und ich ge-
    stehe, daß der Charakter, der sich an ihm verriet, der ruhige
    Mut, den er bei seinem Erscheinen auf Deck an den Tag
    legte, als ob er gar nicht eben dem Tod entronnen wäre, die
    warm empfundenen Worte, die er an seinen bejahrten Be-
    gleiter richtete, während er ihn umarmte, daß all das mich
    ergriffen hat.«
    »Meiner Treu«, antwortete die würdige Frau, »wem er
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    ähnelt, das könnte ich allerdings nicht sagen; aber jedenfalls
    ähnelt er nicht jenem Mr. Aristobulos Ursiclos!«
    Miss Campbell lächelte, ohne darauf zu antworten, er-
    hob sich, blieb noch einen Moment, einen Blick nach den
    fernen Anhöhen der Insel Mull werfend, unbeweglich ste-
    hen und stieg dann, gefolgt von Mrs. Bess, den kahlen Fuß-
    pfad hinab, der zur Straße nach Oban führte.
    An diesem Abend versank die Sonne in einer Art leuch-
    tenden Staubs, der so leicht war, wie mit Zinnflittern über-
    säter Tüll, und ihr letzter Strahl erlosch schon im Abend-
    dunkel.
    Miss Campbell kehrte ins Hotel zurück, tat dem Diner,
    das die Brüder Melvill ganz nach ihrem Geschmack bestellt
    hatten, sehr wenig Ehre an, und zog sich, nach kurzem Spa-
    ziergang am Strand, in ihr Zimmer zurück.
    10. KAPITEL
    Eine Partie Krocket
    Die Brüder Melvill – wir müssen es wohl gestehen – fingen
    allmählich an die Tage zu zählen, wenn sie nicht schon da-
    bei waren, nach Stunden zu rechnen. Die Sache nahm nicht
    den von ihnen gewünschten Verlauf. Die offenkundige Lan-
    geweile ihrer Nichte, das sie erfüllende Bedürfnis, allein zu
    sein, das wenig einladende Auftreten gegen den hochgelehr-
    ten Ursiclos, an dem dieser vielleicht weniger Anstoß nahm,
    als sie selbst, all das war nicht gerade geeignet, den Aufent-
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    halt in Oban angenehm zu gestalten. Sie wußten gar nicht,
    was sie anfangen sollten, diese lästige Eintönigkeit zu unter-
    brechen. Vergeblich beobachteten sie die geringsten atmo-
    sphärischen Veränderungen und sagten sich zum Trost, daß
    Miss Campbell nach Erfüllung ihres Wunsches fügsamer
    und – für sie wenigstens – zugänglicher sein werde.
    Seit 2 Tagen vergaß die noch mehr als sonst träumeri-
    sche Helena sogar, ihnen den gewohnten Morgenkuß zu
    bieten, der den beiden Junggesellen erst für den Rest des
    Tages die gute Laune sicherte.
    Das gegen alle Drohungen und gelinden Wutausbrüche
    der beiden Onkel ganz unempfindliche Barometer zeigte
    nicht die geringste Andeutung eines bevorstehenden Wet-
    terumschwungs. Wenn sie auch nicht unterließen, täglich
    wohl zehnmal daran zu klopfen, um eine Bewegung der Na-
    del zu erleichtern – die Nadel rührte sich nicht vom Fleck.
    Oh, diese Barometer können einen zum Verzweifeln brin-
    gen!Da kam den Brüdern Melvill ein erlösender Gedanke. Am
    Nachmittag des 11. August fiel es ihnen ein, Miss Campbell
    eine Partie Krocket vorzuschlagen, um sie, wenn möglich,
    etwas zu zerstreuen, und obwohl Aristobulos Ursiclos da-
    ran teilnehmen sollte, schlug es Helena doch nicht ab, weil
    sie wußte, daß sie ihnen damit einen Gefallen tat.
    Hier muß bemerkt werden, daß die Brüder Sam und Sib
    sich auf ihre Meisterschaft in dem genanntem Spiel, dem
    man im Vereinigten Königreich ungemein huldigt, nicht
    wenig einbildeten. Das besteht bekanntlich aus dem alten
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    ›Mailspiel‹, das dem Bedürfnis und dem Geschmack der
    weiblichen Jugend sehr glücklich angepaßt wurde.
    Gerade in Oban gab es verschiedene, zur Ausführung
    dieses sehr lebendigen Spiels gut geeignete Plätze. Wenn
    man sich in den meisten Kurorten mit mehr oder weniger
    eingeebneten Gras- oder Sandflächen begnügt, so beweist
    das weniger die genügsamen Ansprüche der Spieler, als ihre
    Gleichgültigkeit und ihren Mangel an Eifer für diesen ed-
    len Zeitvertreib. Hier sind die Spielplätze nicht öde Sandflä-
    chen, sondern, wie sich’s gehört, mit feinem Rasen bewach-
    sen – was man speziell ›Croquet-grounds‹ nennt – hier
    werden sie jeden Abend mit feinstrahligen Druckspritzen
    angefrischt, jeden Morgen mit speziell dazu bestimmten
    Maschinen geglättet und erlangen dadurch eine so weiche,
    zarte Oberfläche wie Samt, der eben aus der Plättmühle
    kommt. Kleine, in gleicher Ebene mit dem Boden

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