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Der Grüne Strahl

Der Grüne Strahl

Titel: Der Grüne Strahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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zu
    schmollen. Sie ruhte dann von den anstrengenden Spazier-
    gängen aus und überließ sich wachend ihren Träumereien.
    Was betrafen diese? Etwa die mit dem Grünen Strahl ver-
    knüpfte Legende? Bedurfte sie dessen wirklich noch, um in
    ihrem Herzen klar zu sehen? Vielleicht auch nicht in dem
    ihrigen, aber etwa in dem anderer?
    An diesem Tag hatte Miss Campbell, der sich Mrs. Bess
    anschloß, ihr Mißgeschick nach den Ruinen von Dunolly
    Castle spazierengeführt. Hier am Fuß einer alten mit dich-
    tem Efeugeschling bedeckten Mauer breitete sich ein wun-
    — 113 —
    dervolles Panorama aus, das der tiefe Landeinschnitt der Bai
    von Oban, die wilden zerklüfteten Gesteine der Insel Ker-
    rera, die im Hebridenmeer verstreuten Eilande und Holme,
    und endlich die große Insel Mull bildeten, deren westwärts
    schauendes Felsenufer den ersten Anprall der Stürme aus
    dem Atlantischen Ozean zu erleiden und zu brechen hat.
    Wohl ruhte Miss Campbells Auge auf dem herrlichen
    Bild, das sich hier vor ihr entrollte, aber sah sie es auch?
    Lenkte sie nicht vielmehr irgendeine Erinnerung hartnä-
    ckig davon ab?
    Jedenfalls konnte man sicher sein, daß das Bild Aristo-
    bulos Ursiclos’ die Ursache dazu nicht war. Es wäre für ihn
    kein Engelsgesang gewesen, wenn der junge Gelehrte die
    Worte vernommen hätte, die Mrs. Bess heute mehr als frei-
    mütig über ihn äußerte.
    »Er gefällt mir nicht«, wiederholte sie öfters, »nein, er ge-
    fällt mir nun einmal nicht! Er hat nur den einen Gedanken,
    sich selbst zu gefallen. Welche Rolle sollte er im Cottage zu
    Helensburgh spielen? Er gehört zum Clan der ›MacEgois-
    ten‹, auf die ich mich nicht verstehe. Wie konnten die Her-
    ren Melvill nur je den Gedanken fassen, daß der ihr Neffe
    werden könnte? Patridge mag ihn ebensowenig leiden wie
    ich, und der versteht sich auf so etwas. Sagen Sie aufrichtig,
    Miss Campbell, gefällt er Ihnen denn selbst?«
    »Von wem sprichst du?« fragte das junge Mädchen, wel-
    che die Äußerungen von Mrs. Bess ganz überhört hatte.
    »Von dem, an den Sie nicht denken können – und wenn’s
    nur um der Ehre des Clans willen wäre.«

    — 114 —
    — 115 —
    »An wen glaubst du, daß ich nicht denken könne?«
    »Nun, an jenen Mr. Aristobulos Ursiclos, der überhaupt
    besser täte, nach jenseits des Tweed zu verschwinden und
    sich zu erkundigen, ob die Familie Campbell jemals mit ei-
    nem Ursiclos etwas zu schaffen hatte!«
    Mrs. Bess legte ihre Worte schon gewöhnlich nicht auf
    die Goldwaage, aber sie mußte sich für die eigene Ansicht
    doch ganz besonders erwärmt haben, um sich in Gegen-
    satz zu ihren Herren zu setzen – freilich zu Gunsten ihrer
    jungen Herrin. Sie fühlte es übrigens recht gut heraus, daß
    Helena für diesen Prätendenten nichts weiter als Gleichgül-
    tigkeit empfand, hätte dagegen schwerlich ahnen können,
    daß diese Gleichgültigkeit durch den Gedanken an einen
    andern gar noch verdoppelt wurde.
    Einen gewissen Verdacht hätte Mrs. Bess indessen schöp-
    fen können, als Miss Campbell sie fragte, ob sie vielleicht
    in Oban den jungen Mann wiedergesehen habe, dem die
    ›Glengarry‹ so zur rechten Zeit Unterstützung und Hilfe ge-
    bracht hatte.
    »Nein, Miss Campbell«, erwiderte Mrs. Bess, »er muß
    wohl gleich wieder abgereist sein; aber Patridge glaubt ihn
    bemerkt zu haben . . .«
    »Wann denn?«
    »Gestern, auf dem Weg von Dalmaly. Er soll von da,
    mit einer Art Ranzen auf dem Rücken, gleich einem rei-
    senden Künstler gekommen sein. Oh, das ist ein unbeson-
    nener Mensch, dieser junge Mann! Sich so in den Strudel
    von Corryvrekan hineinziehen zu lassen, das ist von übler
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    Vorbedeutung für seine Zukunft! ’s wird nicht jedesmal ein
    Schiff bei der Hand sein, ihm Hilfe zu bringen, und er wird
    noch zeitig genug Unglück haben.«
    »Glaubst du das, Mrs. Bess? Wenn er aber unbesonnen
    war, so hat er sich wenigstens als mutvoll erwiesen, denn in
    jenen gefährlichen Minuten schien ihm die Kaltblütigkeit
    keinen Augenblick verlorengegangen zu sein.«
    »Mag sein; jedenfalls aber, Miss Campbell«, ergriff Mrs.
    Bess wieder das Wort, »hat jener junge Mann nicht erfah-
    ren, daß Sie es waren, der er seine Rettung hauptsächlich
    verdankt, sonst hätte er sich doch wohl am Tag nach seiner
    Ankunft in Oban eingestellt, Ihnen seinen Dank abzustat-
    ten . . .«
    »Sich bei mir bedanken?« antwortete Miss Campbell.
    »Und warum? Ich habe für ihn nur getan, was ich für

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