Der gute Liebhaber
zu lesen ist, kommt der Sache schon recht nahe.
Klingt spannend, sagte Karl Ástuson.
Ja, das fand ich auch, zumindest, solange es dauerte.
Reality-Roman mit wissenschaftlichen Erläuterungen, davon hab ich noch nie gehört.
Das ist auch nicht verwunderlich. Ich habe diese Form erfunden.
Du beschreitest also neue Wege?
Neu ist die Art, wie ich das anpacke, soweit ich weiß. Aber nichts ist neu unter der Sonne, höchstens neu unter einem lokalen Sonnenstrahl.
Wie lange hast du dazu gebraucht?, fragte Karl, der sich bei erdgebundeneren Themen wohler fühlte.
Zwei Jahre – ich war vor einem knappen Jahr damit fertig.
Es wird sicher ein Riesenerfolg, sagte Karl.
Ein hochgewachsener Mann näherte sich und bedeutete Doreen, sie solle kommen.
Sie stellte vor: Mein Verleger, Jasper Masters – ein Freund von mir, Carl Astason.
Jetzt muss ich wohl ein paar Worte sagen, erklärte sie. Bitte geh nicht, ohne dich von mir zu verabschieden.
Versprochen, sagte Karl Ástuson und legte seine Hand auf ihre.
Sie sah zunächst auf seine Hand, dann in sein Gesicht und lächelte. Ihr Lächeln gab ihm zu verstehen, dass sie sich nie wiedersehen würden, dies wäre das letzte Mal. Sie hatte beschlossen, es sei am besten so – und er blickte ihr nach und prägte sich ihren Anblick ein, wie sie langsam und souverän quer durch den Raum zum Rednerpult ging.
Doreen Ash begann mit ihrer Ansprache, sie war brillant. Ein amerikanischer Star. Gewählte und akademisch angehauchte Ausdrucksweise. Und sie war witzig. Sie versuchte nicht, mit billigen Tricks und Gesten Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, sondern sie ruhte gelassen in sich selbst. Sie sprach ein schönes Englisch, ohne irgendeine erkennbare Sprachfärbung, mit deutlicher und weicher Artikulation. Und ihr Auftreten am Rednerpult war perfekt – das war mehr, als man über ihr Benehmen in anderen Situationen sagen konnte. Wer war diese Person? Und was hatte sie eigentlich geschrieben?
Nach dem, was sie über ihr Buch gesagt hatte, konnte es sich um ein hochinteressantes Experiment handeln. Das auf jeden Fall, aber vielleicht auch mehr. Eine Liebesgeschichte, geschrieben von einer Psychiaterin; beide Partner wurden unter die Lupe genommen und wissenschaftlich analysiert. Sie knöpfte sich also die Liebenden wie medizinische Fälle vor, und dazwischen beschrieb sie genau, was sich zwischen den beiden abgespielt hatte, eines Nachmittags und Abends bis tief in die Nacht – so genau, dass sie es Reality-Literatur nannte.
Karl Ástuson verlor während ihrer Ansprache den Faden. Ihn beschlichen Zweifel, ob es sich um gute Literatur handelte. Eine Liebesgeschichte, eingerahmt von professionellen Klischees, verwässert oder aus dem Zusammenhang gerissen durch professionelle Klischees. Waren das nicht unvereinbare Welten in einem einzigen Buch? Trotzdem eine ganz originelle Idee. Die Frau hatte einen scharfsinnigen Intellekt, das durfte man nicht vergessen. Wer weiß, vielleicht war ihr das vermessene Unterfangen gelungen, vielleicht hatte sie aus diesem seltsamen Mischmasch etwas Großartiges gemacht.
Er merkte auf einmal, dass Liina Minuti ihn beobachtete. Etwas an der Art, wie sie das tat, erinnerte ihn stark an die Szene, als Doreen Ash sich im Bett die Brille aufsetzte und ihn betrachtete. Er entschied sich dafür, ihr zuzulächeln. Liina erwiderte das Lächeln streng. Man sah schon von weitem, dass sie nicht geschminkt war. Eine leidlich hübsche Frau, aber uninteressant.
Nun platzten die Papageien in die Ansprache der Autorin hinein, sie drehten gleichzeitig durch und stießen in unverschämten Tönen ein Bye-bye nach dem anderen hervor, was deutlich und klar im Saal zu hören war.
Die können es wohl nicht abwarten, den
Guten Liebhaber
zu lesen, sagte Doreen Ash und erntete schallendes Gelächter. Liina Minuti eilte zur Tür und schloss sie.
Doreen Ash beendete ihre Ansprache mit Glanz und wurde entsprechend von den zahlreichen Gästen bejubelt. Der Verleger küsste sie zuerst, und dann gab es Küsse von allen Seiten unter nicht enden wollendem Applaus, bis der Verleger das Wort ergriff und den Gästen Schweigen gebot.
Der Mann war eine attraktive Erscheinung, er sah nicht weniger wie ein Filmstar aus als die Autorin. Das, was er über den
Guten Liebhaber
und die Autorin sagte, machte Karl Ástuson so stolz, als hätte er selber Anteil an dem Buch gehabt. Er ertappte sich dabei, wie ein Honigkuchenpferd zu grinsen – bis er den wachsamen Blick von Liina Minuti
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