Der gute Liebhaber
bemerkte.
Doreen Ash hatte kurz gesagt eine neue literarische Gattung geschaffen – einen Liebesroman, in dem die Liebenden und ihre Gefühle professionell unter die Lupe genommen wurden, während die Geschichte ihren Verlauf nahm. Dabei kamen zwar nicht zuletzt auch eigene Theorien der Autorin zum Tragen, doch der Meister Sigmund Freud war nie weit entfernt, genauso wenig wie der Schatten von Melanie Klein. Ohne sie wäre das Buch nie geschrieben worden, aber auch nicht ohne die Hilfe der Psychologin und Lebenspartnerin Liina Minuti, die der Autorin eine unschätzbare Stütze gewesen war. Der Verleger prophezeite dem Buch rauschenden Erfolg, er hatte eine große Auflage drucken lassen. Zum Schluss seiner Rede ging er kurz darauf ein, dass der Anlass des Buches zwar tiefernst sei – es ginge um die Chancen der Liebe, um die Chancen des Menschen, in Liebe und mit Liebe zu leben –, aber es sei von einer begnadeten Humoristin geschrieben, und die Komik verleihe dem Werk, das ohnehin schon außerordentlich vielschichtig sei, eine weitere Dimension.
Eine Welle der Begeisterung ging durch den Saal. Der Verleger Jasper Masters und die Autorin Doreen Ash fielen sich ausdauernd in die Arme. Hinter der verschlossenen Tür drehten die Papageien ein weiteres Mal durch, diesmal mit Sirenen- und Freudengeheul.
Inzwischen hatte die bewundernde und verliebte Liina Minuti den Verleger abgelöst und den Platz in Doreen Ashs Armen eingenommen. Karl Ástuson schob sich näher an sie heran, aus purer Neugierde wollte er die beiden zusammen sehen. Liina flüsterte Doreen etwas zu. Karl spürte Mitleid mit ihr. Wer weniger geliebt wurde oder praktisch gar nicht geliebt wurde, war übel dran. Wer alles gab und im Gegenzug nur mit Lappalien und Larifari bedacht wurde, aber niemals mit dem Einzigen, wonach er sich sehnte, der Liebe des Heißgeliebten, der Heißgeliebten. Aber war es trotz all dieser Abstriche nicht doch besser, bei dem sein zu dürfen, den man liebte? Tja, wie viele unglücklich liebende Frauen und Männer hatten sich nicht schon diese Frage gestellt.
Doreen Ash befreite sich aus der langen Umarmung. Sie sah Karl an, als sei er der einzige Anwesende im Saal, und ging zu ihm hinüber.
Schön, dass du gekommen bist, sagte sie.
Schön, dass ich kommen durfte. Diese Stunde werde ich nicht so schnell vergessen. Vielen Dank, dass du mich eingeladen hast, und alles Gute.
Danke.
Ich bin so gespannt, dass ich mich noch nicht einmal getraut habe, das Buch zu öffnen und deine Widmung zu lesen.
Ich verstehe, sagte Doreen Ash. Dann also adieu.
Adieu, sagte Karl Ástuson.
Ich wünsche dir weiterhin Glück, sagte sie.
Das habe ich. Ohne dich hätte ich es nicht.
Mir wird warm ums Herz.
Sie küsste ihn auf die Wange und flüsterte: Du bist schön.
Danke, gleichfalls, sagte er. So schön wie nie.
So schön wie nie, entgegnete sie und lächelte, als sei ihr etwas Witziges eingefallen, das sie aber nicht verraten wollte. Dann drehte sie sich zu ihren Schlange stehenden Bewunderern um.
Karl Ástuson, mit dem
Guten Liebhaber
in der Hand, machte sich unverzüglich aus dem Staub. Er befürchtete, in irgendwelche Gespräche verwickelt zu werden, bei denen ihm Erklärungen abverlangt würden, wieso er von dem Star des Tages so bevorzugt wurde. Er riskierte es noch nicht einmal, auf den Aufzug zu warten, sondern ging unter den Kreischattacken der Papageien schnurstracks zur Treppe. Der eine schrie etwas, was klang wie: Klappe halten.
Während er die neun Stockwerke hinunterstapfte, kam es Karl Ástuson wunderlicherweise so vor, als würde das Buch, das Doreen Ash ihm verehrt hatte, sich in seiner Hand wie ein Stein erwärmen: wie einer der Steine am Strand bei Grótta und Örfírisey, die er auf seinen Spaziergängen mit Ástamama und mit Una aufgehoben und umklammert hatte.
Zwar sehnte er sich zurück nach seinem Zuhause auf Long Island und nach Una, doch gleichzeitig steigerte sich seine Neugier auf das Buch, das in seiner Hand immer heißer wurde, es hatte fast den Anschein, als sei es aus anderem Material als Papier. Er konnte es einfach nicht mehr abwarten, er musste einen Blick hineinwerfen. Unwillkürlich beschleunigte er sein Tempo und nahm Kurs auf die Grand Central Station. Dort wollte er das Buch öffnen, oben im italienischen Restaurant.
Zum Schluss fing er an zu rennen, und erst als er Platz genommen hatte, merkte er, dass er völlig verschwitzt und außer Atem war, weil er ein ganzes Stück gelaufen war. Karl
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