Der gute Liebhaber

und sah ihn einigermaßen schockiert an.
    Das war kein guter Start. Um weitere Fehlleistungen zu vermeiden, hielt er sich im Festraum verlegen im Hintergrund und so weit wie möglich von der Menschentraube um die zukünftige Bestsellerautorin entfernt. Er sah riesige Plakate mit dem Porträtfoto einer strahlend lächelnden Doreen Ash über dem Rednerpult und daneben Plakate mit dem vergrößerten Cover. Doreen Ash besaß formschöne Zähne, und das Cover-Design war beeindruckend. Eine orangegelbe und blaue Blüte über einem Schwarzweißfoto von zwei Händen, einer kleinen und einer großen. Einer Kinderhand und einer Erwachsenenhand. Vielleicht gar keine so schlechte Idee für ein Werk, das eine Mischung aus Dichtung und Wissenschaft sein wollte.
    Karl Ástuson ließ sich exzellente Kanapees munden und leerte sein Rotweinglas in Rekordgeschwindigkeit. Er hatte nur den einen Wunsch, so schnell wie möglich verschwinden zu können, aber zuvor musste er noch der Autorin gratulieren und ein signiertes Buch entgegennehmen, wie sie in Aussicht gestellt hatte. Alles andere wäre Feigheit. Betrug. Es würde ihr in dieser großen Stunde etwas bedeuten, ihn kurz zu treffen. Wenn es stimmte, was sie ihm vor zwei Tagen gesagt hatte.
    Zu dieser Stunde konnte er allerdings kaum noch daran glauben, dass der Star des Tages ihn angeblich liebte. Diese Frau, die so weit außerhalb seiner Welt war – aber sich trotzdem dort eingenistet hatte wie eine Eizelle bei einer Bauchhöhlenschwangerschaft.
    Das Ehepaar mit dem akademischen Hintergrund stand auf einmal wieder dicht neben ihm. Die Frau sagte: Sie kommen uns so bekannt vor, sind wir uns nicht kürzlich irgendwo begegnet?
    Karl Ástuson entgegnete, das könne gut sein, aber er habe ein katastrophales Personengedächtnis, deswegen dürfe man nichts darauf geben, wenn er sich nicht daran erinnerte. Er unterhielt sich angeregt mit den Eheleuten und war deswegen nicht darauf gefasst, als der Star in eigener Person angeschwebt kam, Doreen Ash, jünger und strahlender als bei ihrem ersten Zusammentreffen, Doreen Ash in einem weißen Kleid mit ausladendem, schwarz eingefassten Kragen und einer schwarzen Kette – wie aus einem Film. Ingrid Bergman in
Casablanca
?
    Du siehst phantastisch aus, sagte Karl Ástuson, nachdem er ihr einen Kuss auf die Wange gegeben hatte.
    Ich habe schlafen können, seit wir uns das letzte Mal trafen. Schlaf ist das A und O fürs Aussehen und das einzige Mittel mit Sofortwirkung.
    Nun ja, es hatten aber doch wohl auch noch andere als der Schlaf Hand an ihr Aussehen gelegt – Gesicht und Frisur perfekt und proportional aufeinander abgestimmt. So ein Aussehen war zwar schon beinahe übertrieben, aber letzten Endes doch umwerfend. Und dazu ein umwerfendes Platin-Armband mit Lapislazuli – das allerdings streng genommen nicht zu der schwarzen Kette passte.
    Karl Ástuson war etwas aus dem Gleichgewicht geraten, und zwar buchstäblich, stand aber gerade neben einem Tisch, an dem er sich unauffällig abstützen konnte. Glücklicherweise, denn nun zog Doreen Ash ein Exemplar des
Guten Liebhabers
aus ihrer Tasche und überreichte es ihm.
    Vielen Dank, sagte er. Ich fände es sehr schön, wenn du es für mich signieren würdest.
    Das ist bereits geschehen, entgegnete sie.
    Ach ja? Dann nochmals vielen Dank, sagte er, zögerte aber, das Buch zu öffnen und nachzusehen, was sie hineingeschrieben hatte.
    Und ich bedanke mich dafür, dass du deinen Namen in das Armband eingravieren ließest, sagte sie.
    Nichts zu danken. Hoffentlich bekommst du deswegen zu Hause keinen Ärger.
    Ich muss es ja nicht Liina unter die Nase halten. Im Übrigen hat sie eine philosophische Einstellung.
    Ach ja? Ich dachte, du hättest gesagt, sie sei eifersüchtig.
    Das ist sie. Aber sie macht mir nicht mit irgendwelchem belanglosen Blödsinn das Leben schwer, sonst würde ich auch nicht mit ihr zusammenleben. Mit Menschen, die einen mit Blödsinn behelligen, kann man nicht zusammenleben.
    Ist sie hier?, fragte Karl Ástuson.
    Ja, sagte Doreen Ash und deutete auf eine kleine, dunkelhaarige Frau in schwarzem Hosenanzug und weißer Bluse. Sie stand gestikulierend inmitten einer Menschentraube.
    Sie erzählt ihnen bestimmt, was für ein tolles Buch das ist, sagte Doreen Ash.
    Ich freue mich darauf, es zu lesen, sagte Karl.
    Das solltest du unbedingt tun, sagte Doreen Ash.
    Eine Mischung aus Fiktion und Sachbuch?
    Reality-Roman mit wissenschaftlichen Erläuterungen, wie auf dem Schutzumschlag