Der gute Liebhaber
kann, bin ich der Sonne nachgelaufen.
Er:
Nur gut, dass es nicht der Regenbogen war.
Daraufhin hatte sie ihm einen raschen Blick zugeworfen, so als hätte er schicksalhafte Worte von sich gegeben. (Dieser spezielle Gesichtsausdruck fand in dem Buch allerdings keine Erwähnung, und auch nichts, was mit ihm in Verbindung stand.)
Er las weiter, nun folgte die Beschreibung des Mannes, der zufällig dort vorbeigekommen war. Es handelte sich eindeutig um die Beschreibung von Karl Ástuson, so viel stand fest. Aussehen und Auftreten stimmten bis ins kleinste Detail. Und nicht zuletzt auch die Kleidung – das weiße Hemd, die dunkelgraue Hose, der blaugraue Pullover, den er über dem Arm trug.
Sie erinnerte sich also anscheinend äußerst präzise. Der blaugraue Pullover stimmte, den hatte er am gleichen Tag gekauft. Aber war das nicht Zeugnis für einen beklagenswerten Mangel an Phantasie, wortwörtlich zu wiederholen, was damals zwischen ihnen gesagt worden war? Es war natürlich korrekt, der Auftakt bei dem Sonnenfleck neben einem grünen Reisekoffer war auf seine Weise perfekt gewesen – so gesehen konnte man daran nicht herumbessern, aber war es nicht die Aufgabe eines Schriftstellers, aus der Realität etwas Neues zu schaffen? Die Wirklichkeit war doch verflixt noch mal keine Dichtung, und sie konnte es nie werden. Realität war Realität, Dichtung war Dichtung. Dichtung hatte wahrer als die Wirklichkeit zu sein, also musste wohl Reality-Literatur, wie Doreen Ash sie nannte, eine noch größere Lüge sein als das, was realiter passierte. Oder hatten Begriffe wie Lüge und Wahrheit gar nichts damit zu tun?
Ihm fiel nicht ein, sich das, was sie schrieb, zu Herzen zu nehmen. Es war offensichtlich ihre Absicht, ihn als Komparsen zu verwenden. Den Stoff für das Buch, den eigentlichen Inhalt, den musste sie doch von ganz woanders herhaben. Sie hatten seitdem keinerlei Verbindung miteinander gehabt, waren Unbekannte füreinander, und das waren sie immer noch. Ein Abend – und der Rest spielte sich im Kopf von Doreen Ash ab. Reality-Literatur, hatte sie gesagt – aber aus so wenig Reality ließ sich ja wohl kaum etwas machen. Ein Abend und eine halbe Nacht. So etwas konnte doch nicht für einen dicken Wälzer reichen, auch wenn dieser Abend früh begonnen hatte. Sie würde etwas, was sich nur in ihrem Kopf abgespielt hatte, doch wohl kaum bis ins Uferlose auswalzen können. Eingleisige Liebe und Einbildung. Ein außerordentlich mickriger Plot.
Karl Ástuson vertiefte sich wieder in das Buch, das Gespräch auf dem Bürgersteig wurde ganz präzise wiedergegeben, bis sie vor der zu kühlen Frühlingsbrise nach drinnen flüchteten. Sie nahmen unter einem Bild von Ronald Reagan Platz und bestellten noch einmal Champagner. Und eine alte Dame am Nachbartisch schielte zu ihnen herüber. Sie trug eine weiße Schirmmütze und trank ein schaumiges weißes Getränk mit einem langen Strohhalm. Alles stimmte haargenau.
Er las weiter und fand die Lektüre unspannend. Er konnte sich nämlich recht gut an den Abend erinnern und hätte im Zweifelsfall ebenfalls eine derartige Nacherzählung zu Papier bringen können. Ganz offensichtlich hatte man es hier nicht mit einer ernstzunehmenden Romanschriftstellerin zu tun. Schwer zu sagen, ob andere Leser diesem Text etwas abgewinnen konnten – für ihn war er schal, denn er kannte ihn auswendig.
Wie stellte sich diese einfallslose Autorin die Fortsetzung vor, wenn sie an dem Punkt anlangte, wo sich herausstellte, dass der magere Stoff, den ein Abend und eine Nacht boten, niemals ein ganzes Buch füllen konnte, auch wenn man ihn mit etwas streckte und verlängerte, was als wissenschaftliche Erläuterungen deklariert wurde. Möglicherweise wäre es aber ganz interessant zu sehen, wie sie vorginge, wenn die direkte Schilderung der undramatischen Ereignisse des Abends einfach nicht mehr ausreichte. Er vergewisserte sich noch einmal, doch, das Buch hatte 570 Seiten. Eine grässliche amerikanische Unsitte, solche Schwarten zu schreiben.
Karl Ástuson schnitt das kalt werdende Kalb in Happen und vertilgte sie mit der Gabel in der rechten Hand, mit der linken hielt er das Buch und las es wie ein x-beliebiger Leser – bis zu dem Punkt, wo Doreen Ash sich dem zuwandte, was sie nachträglich in das Geschehen hineininterpretierte. Da fiel es ihm buchstäblich aus der Hand, und er nahm das Buch in beide Hände.
Im Nachhinein wusste sie nämlich genau, wann sie Feuer gefangen hatte, und
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