Der gute Stalin
bedeuteten ein Schöpfertum »von innen heraus«, eine Selbstäußerung, die nicht in das Geheimnis passte, die ich, dem Geheimnis treu bleibend, nur oberflächlich anrührte. Es gibt viele Spekulationen, verbunden mit diesem Geheimnis, die es in einen Gemeinplatz metaphysischer Sehnsüchte verwandelt haben. Jeder, der gerade nichts Besseres zu tun hat, behauptet, dass schöpferische Energie von außen komme. Genau das ist eigentlich Talent – Energie durch sich hindurchzulassen. Schöpfertum »von innen heraus« ist bestenfalls Imitation. Schöpfertum »von außen« besitzt keinen garantierten Charakter, wird mit den Jahren nicht besser, sondern löst sich eher in nichts auf. Seinen Platz nimmt die Selbstwiederholung ein.
Schöpfertum »von außen« neigt zum allgemeinen Stil der Zeit, das heißt, es kommuniziert auf dem Niveau moderner Begriffe, es bewegt sich immer in einer Biosphäre der Gegenwart. Doch es befindet sich außerhalb von modischen Konstruktionen, besitzt ein zwiespältiges Verhältnis zur Zeit, genauso wie zum menschlichen Sinn, weshalb es der Übersetzung in andere Sprachen schwer zugänglich ist – zum Beispiel Puschkin. Die Übersetzung macht ihn bestenfalls zu einer eleganten Sammlung trivialer Wahrheiten.
Die Vermischung dieser beiden ungleich großen Begriffe hat es immer gegeben, aber besonders im 20 . Jahrhundert, als das metaphysische Dach heruntergerissen wurde, ging alles durcheinander. Schöpfertum »von innen heraus« besitzt große ästhetische Möglichkeiten, mit seinen Leistungen bin ich oft konfrontiert worden. Das Geheimnis jedoch bestand in meiner Verwandlung in einen Träger, der fähig ist, andere Möglichkeiten und eine andere Welt zu reproduzieren. Die Verwandlung in einen Träger gab mir rare Momente eines realen ekstatischen Zustandes, in dem mein Text mir schon nicht mehr gehörte und ich, wenn ich ihn ansah, mich wunderte: Das hast du geschrieben? Formalismus hat mich niemals angezogen, auch nicht in seiner verbotenen Form. Weder die Tartuer Schule noch der französische Strukturalismus sind mir jemals als Bewegung für eine Entdeckung von Geheimnissen erschienen. Dort gab es nur die Aufgabe zu lösen, wie Der Mantel gemacht ist.
Aber ich fühlte, dass »der Mantel nicht gemacht wird«, dass der Schriftsteller kein Meister ist, im Gegensatz zu dem, was Michail Bulgakow meinte. Der Schriftsteller ist ein tollwütiger Wecker, der klingelt, damit die Welt aufwacht, und er ist nicht aufgezogen von der Sorge des Schriftstellers um den Zustand der Welt – solcherart Klingeln gibt es auch so schon genug –, sondern aus einem ganz anderen Grund. Da jedoch der Schriftsteller schwach, taub und mit seinem Privatleben beschäftigt ist, hört er die durch ihn hindurchlaufenden Wellen schlecht, er redet ins Blaue hinein, fügt seinen eigenen Senf hinzu, verdirbt die ursprüngliche Grundidee, die er als Träger zu reproduzieren aufgerufen ist. Das ist auch der Grund, warum mir der Gedanke schriftstellerischen Stolzes oberflächlich und lächerlich erscheint. Der Schriftsteller kaut an den Fingernägeln, weil er schlecht hört. Er sieht vor allem die eigene Unvollkommenheit. Er ist ein lausiger Träger. Er schämt sich. Er möchte unter den Tisch kriechen vor Scham. Er wird nicht fertig mit der Aufgabe. Er kann dies nicht einmal mitteilen, denn es gibt niemanden, der zuhört. Der einzige Mensch, mit dem ich über dieses Thema sprechen konnte, war Schnittke.
Alles Übrige reduziert sich auf soziale Rollen, Protest, Flucht in den Ruhm, schöpferische Lebensstrategien und ästhetische Leistungen bei der Abarbeitung seiner Verletzungen. Es gibt nicht wenige halb entwickelte, wortzauberisch begabte Genies, am Anfang scheinen sie von einem fremden Blatt zu singen wie der frühe Majakowski, aber wenn sie dann gelernt haben, mit Wörtern zu jonglieren, imitieren sie einen Zustand, der jedoch nicht das Lebensmandat darstellt. Die Schwäche meines Gehörs hat mich Demut gelehrt. Der Stolz ist von selbst abgefallen. Doch als ob man meiner Demut nicht glauben wollte, gab man mir einen Namensvetter, der mir auf mechanische Weise Stolz einhämmerte. Es heißt, dass einmal ein buddhistischer Mönch, der nach Petersburg gekommen war, nicht einschlafen konnte. Auch in der folgenden Nacht konnte er nicht schlafen. Die besorgten Schüler, die begierig auf ihre Anweisungen warteten, fragten ihn, warum er nicht schlafe. In eurer Stadt, antwortete er, kann man schwer einschlafen: Auf den Bäumen gibt
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