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Der gute Stalin

Der gute Stalin

Titel: Der gute Stalin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Jerofejew
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Politik ist. Wäre Papa nicht an der französischen Spionageabwehr gescheitert, hätte er als Botschafter in Belgien gearbeitet und wahrscheinlich dem Westen sehr viel mehr geschadet als im Senegal. Rührig, umgänglich, liebenswürdig wie er war, entwaffnete er die Feinde mit seinem absolut unsowjetischen Charme. Er trat zum Kampf gegen sie an wie zum Schachspiel, mit gleich bleibendem Wohlwollen, doch am Ende blieb immer er der Sieger. Er wunderte sich sehr, dass die Feinde nicht aufgaben. Er glaubte an die Farbe seiner Figuren.
    Er kaufte ein Haus im Zentrum von Dakar und lud mich in den Ferien ein. Papa wusste gar nicht, was für ein Geschenk er mir damit machte. Schwarzafrika – das ist eine fotografische Vergrößerung. Nicht umsonst lieben die Fotografen Afrika so. Die Baobabs sind stärker als Gaudís Kathedralen, die Tänze zu den Klängen der Tamtams sind stärker als alle karamasowschen Gespräche über den Sinn des Lebens, jeder Stein in der Savanne ist stärker als das Evangelium, die Affen sind stärker als der Mensch. Das war nicht nur eine neue Farbe des Lebens, das war eine andere Dimension. Sonnenuntergänge, Gewitter, Medina, Moscheen, Boubous, Masken, Dschungel – all das ist stärker als Nacht, Straßen, Straßenlaternen, Apotheken. Wir fuhren mit dem Landrover durch die Sahara nach Mauretanien, ich sah Hunderte von Othellos in edlen Fetzen. Wir fuhren nach Ziguinchor und Gambia, wo minderjährige Jungen ihre Schwestern für ein paar Groschen verkauften, was von den schwedischen Touristen sehr geschätzt wurde, und wo das Parlament nach englischem Vorbild erbaut war. Ich sah einen internationalen Urlaubsort, mit Stränden, Palmen, Baobabs, ehemaligem Sklavenhandel, Sonne über dem Kopf, Bars und Seeigeln. Zu jener Zeit war ich bereits Vaters ideologischer Feind. Bei Sonnenaufgang fing ich Fische im Ozean. Ich reiste zweimal im Sommer und in zwei Hypostasen zu Vater nach Dakar: als Schüler, der noch ein Jahr Schule vor sich, und als Student, der gerade sein zweites Semester hinter sich hatte.
    Der Schüler war überzeugter Moralist. Ich war an Moralismus wie an Masern erkrankt. Die Welt rief bei mir starken Juckreiz hervor: Alles war ungerecht daran – von meiner Schule bis hin zu den ästhetischen Vorstellungen von Chruschtschow, der abstrakte Malerei nicht ausstehen konnte. Ich verschlang die Gedichte Jewtuschenkos, als wären sie für mich geschrieben. Professor, irgendwie gefallen Sie mir nicht, dafür gefalle ich Ihrer Frau und Ihrem Sohn, einem störrischen Burschen, der offenbar nicht nach seinem Vater kommt. Ich zitiere frei nach dem Gedächtnis. Das war mein Niveau. Ich fand, dass ich dem störrischen Burschen ähnlich war, und überlegte mit wehem Herzen, dass auch ich nicht nach Vater kam. Jewtuschenko ließ mich die Entfremdung von meinem eigenen Vater spüren, die ich mir nicht eingestehen wollte.
    Ich kannte Papa wie früher hauptsächlich in den Ferien, ich sah vor mir einen Botschafter auf Urlaub. Er verstand es, seine Ferien überall zu organisieren; Dakar war ein luxuriöser Urlaubsort. Wir spielten Tennis zusammen, und kleine schwarze Jungen rannten auf dem Tennisplatz hin und her und gaben uns die Bälle. Das war nicht ganz die sozialistische Art, aber wenn wir auf ihre Dienste verzichtet hätten, hätten die Jungen kein Geld verdienen können, und so mussten wir uns entscheiden: entweder ihnen real helfen oder auch im Tennisclub für den Sozialismus kämpfen. Wir zogen es in diesem Fall beide vor, vom Sozialismus Abstand zu nehmen. Nach dem Tennis gingen wir in die Clubbar, wo Vater ein Konto hatte, und er bot mir vorschnell an, davon Gebrauch zu machen. Ich lud die Söhnchen von reichen Franzosen, die mit Erdnüssen Millionen gemacht hatten, mit solcher Großzügigkeit nicht nur zu Getränken, sondern auch zu gebratenen Tauben ein, dass Vater sich einen Monat später an den Kopf griff, mich aber nicht erschlug. Er hatte zu Geld immer schon ein beiläufiges Verhältnis. Er glaubte leicht an seinen Erfolg im Leben und beneidete niemals seine Freunde: weder Trojanowski noch Dubinin oder Alexandrow, die es geschafft hatten, Schwindel erregende Karrieren zu machen.
    Ein Gedicht Jewtuschenkos hatte prophetische Bedeutung für unsere Familie. Jewtuschenko kam nach Dakar zu einem Festival der Kunst Schwarzafrikas gereist. Papa mochte ihn nicht. Sie gingen zusammen zu Senghor, der Jewtuschenko fragte, wer ihm besser gefalle, Majakowski oder Jessenin.
    JEWTUSCHENKO Das ist

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