Der gute Stalin
Vater und mir nicht nur durch eine äußere, manchmal pathologische Ähnlichkeit bedingt war, sondern auch durch die Tatsache, dass wir beide im Leben viel aus ein und demselben Grund gelogen haben.
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Die erste Liebe müsste eigentlich zuvor geprobt werden, was an sich absurd ist. Ich ging in die Falle der Sinnlichkeit, die imstande ist, jede große Liebe zu zerstückeln. Ich legte die Verantwortung, ehrenhaft die Sache Europas zu tragen, auf Wiesławas zerbrechliche Schultern und war dumm genug, mich zu wundern, dass ihr dies nicht besonders gelang. Ich wurde unaufmerksam gegenüber ihren Vorzügen, ihrer natürlichen Musikalität beispielsweise, dafür war ich viel zu früh entsetzt über ihre Fehler, ihre weibliche Kleinlichkeit, die ihr fehlende Dreistigkeit und avantgardistische Entschlossenheit.
Dabei kam heraus – nicht Europa wird vom Stier, sondern der Stier von Europa getragen. Liebe ist – wenn Platon Recht hat – die Erlangung der zweiten Hälfte, aber diese Hälfte passt allzu oft nicht, so wie ein falsches Ersatzteil für ein Auto, und irgendwann verliert man die Geduld und möchte nicht mehr an der Liebe arbeiten, sondern alles zum Teufel schicken.
»Bonjour, Mademoiselle«, sagte mein Vater, als er in mein Zimmer kam und Wiesława kennen lernte. Er war verlegen, und vor Verlegenheit hatte er vergessen, dass es außer Frankreich auch noch andere Länder gab. Drei Jahre später tat er alles, damit wir heiraten konnten. Auch das war damals mutig. Für den Sohn eines Botschafters war Polen die äußerste Grenze des Erlaubten. Hätte ich auch nur eine Jugoslawin geheiratet, wäre Vater automatisch seine Arbeit los gewesen. Papa bekam keine Angst vor einer Polin, die in unserer Familie das gefährliche Thema »Privatkontakt zu einer Ausländerin« auf den Plan brachte. Am zwanzigsten Mai 1969 begab er sich persönlich in die Gribojedow-Straße, um die walkürenhafte Direktorin des einzigen Standesamtes in Moskau, wo Ehen mit Ausländern registriert wurden (wenn auch ungern), zu überreden, uns – genau dreißig Tage nachdem wir das Aufgebot bestellt hatten – einen Termin zu geben. Als die Direktorin den Diplomatenpass eines Außerordentlichen und Bevollmächtigten Botschafters erblickte, gab sie gern nach. Wir waren so früh dran, dass wir, von Weckern umstellt, die Nacht verbrachten, um den Mendelssohn nicht zu verschlafen.
Die Flitterwochen verbrachte ich in der Sowjetarmee, die wegen Armstrongs Spaziergang auf dem Mond zu der Zeit an einer schweren Magenverstimmung litt, im Sumpf beim Dorf Bolschaja Ljada, Gebiet Tambow, wo beim Appell die Frösche lauter schrien als die Offiziere. Nachdem ich von dort zurück war, verbrachten wir den Herbst in den Karpaten. Seitdem ist Polen meine dritte Heimat.
Während Frankreich weit entfernt war, erwies sich Polen als widerspenstiger Nachbar. Zwar suchte ich in Polen permanent nach Spuren des Westens, ging in amerikanische Actionfilme, las im französischen Kulturzentrum Zeitschriften, letzten Endes verliebte ich mich jedoch in Polen. Ich liebte seine unsichtbare Freiheit, das stolze Rückgrat des polnischen Pan, ungeachtet der Knauserigkeit der Bevölkerung. Als wir den Bug überquert hatten, hörte Wiesława auf, mit mir Russisch zu sprechen. Ich lernte Polnisch, ohne einen einzigen Blick ins Wörterbuch zu werfen. Die Liebe der Russen zu Polen bleibt nicht selten unerwidert, obwohl es in meinem Fall anders ist: Die Polinnen mochten mich anscheinend, wobei sie mir aufrichtig gestanden, dass ich einem Russen nicht ähnlich sei.
Bei Mama erwachten alle ihre Nowgoroder Komplexe. Die Hegemonie des Proletariats endete in ihrem Bewusstsein praktisch mit der marxschen Theorie, was indirekt von der Nähe der Perestroika zeugte. Sie begriff plötzlich, dass ihr Sohn die Tochter eines Kochs geheiratet hatte. Eine Mesalliance. Das war eine der widerlichsten Geschichten meines Lebens. Auch ich litt unter einem Gefühl von Ungleichheit, ich fürchtete, in der Massenkultur aufzugehen. Pan Zygmunt Skóra war ein großartiger Koch. Wahrscheinlich der beste Koch in Polen. Gierek bestellte ihn sonntags oft in seine Villa. Seine Schweineschnitzel waren genial. In der Küche schnitt er mit Überschallgeschwindigkeit lange Gurken für den Familiensalat. Er räucherte selbst Fleisch und machte Wurst. Er war ein echter Ernährer. Wenn er aber Życie Warszawy las, bewegte er dabei die Lippen. Er hatte eine Abneigung gegen den Kommunismus und winkte angesichts der Qualität
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