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Der gute Stalin

Der gute Stalin

Titel: Der gute Stalin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Jerofejew
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schweigt, doch plötzlich taucht an der linken Flanke getrocknetes Schwarzbrot auf. Dem kann keiner von uns widerstehen. Getrocknetes Schwarzbrot wird bei uns nicht mit Zwangsarbeit assoziiert, sondern mit der Sehnsucht nach dunklem, aromatischem Borodinski-Brot. Die ganze Familie vermisst dieses Brot. Großmutter schickt uns, wenn sich eine Gelegenheit bietet, getrocknetes Schwarzbrot in weißen, fest zugenähten Säckchen, auf denen mit Blaustift geschrieben steht: »An W. I. Jerofejew«. Vater und ich kauen es gern unterwegs, und in unseren Jackentaschen bleiben immer Krümel davon zurück. Dafür nimmt das Baguette mit der knusprigen Kruste, das wie eine Motte nur einen Tag lebt, den Kampf auf mit dem Moskauer Weißbrot zu zwölf fünfzig und trägt den Sieg davon. Nur die mit Mehl bestäubten Moskauer Kalatschi, diese Damenhandtäschchen, können ihre Überlegenheit aus der Ferne behaupten. Nach einer gewissen Zeit kommt der erste Salat auf den Tisch – weg mit dem mayonnaisegetränkten »Hauptstadt«-Salat! –, jener grüne Salat mit Tomaten und rohen Champignons, angemacht mit Olivenöl und Weinessig, der Moskau bis heute kalt lässt. Gegen die Franzosen werden Salzgurken ins Feld geführt, gekochte mehlige Kartoffeln, eingelegte Reizker, Sauerkraut, leicht gesalzener Lachs – oder bist du etwa kein Russe? –, die Vorspeisen zerstören die napoleonischen Pläne, Krabbensalat mit grünen Gürkchen und Erbsen obendrauf. Borodino: zartes Schweinefleisch kämpft mit Entenbrust. Dieses Kapitel müsste man auf leeren Magen schreiben, damit der Kampf auch echt, ehrlich und gerecht aussieht. Aber der größte Sieg der französischen Küche bei uns zu Hause sind die Pommes frites. Für die Zubereitung wurde ein spezieller Topf angeschafft, der einen familieninternen Neologismus erhielt: Wir nannten ihn »Fritniza« (später ging er in die russische Sprache ein als »Fritjurniza«). Wir schneiden die Kartoffeln in lange Streifen, tun diese in ein Sieb und das Sieb in heißes Öl. Die ganze Wohnung riecht danach. Steak, Pommes frites und Bordeaux – das ist eine Herausforderung selbst für unsere Pelmeni. Die russischen Bratkartoffeln, die ewig in der Pfanne anbrennen, treten in den Hintergrund. Ich lebe der Zeit um vierzig Jahre voraus. Mama kauft ein Gerät für das Pürieren von Lauch. Bei uns wird eine neue Suppe eingeführt: Poireau-pomme-de-terre. Mit knusprigen kleinen Croûtons und Smetana. Kürzlich habe ich in der Fernsehsendung »Smak« erzählt, wie man sie zubereitet, aber ich fürchte, in unserem Land findet sie keinen großen Zuspruch.
    Mama geht noch weiter. Sie probiert alles aus. Sie isst Elsässer Schnecken und die klassische Zwiebelsuppe (nicht zu verwechseln mit Lauchsuppe), sie liebt Austern, ist versessen auf alle möglichen Fische, besonders sole mit Zitrone. Papa isst keine Austern. Wie Gogols Sobakewitsch weiß er schon vorher, wie die schmecken. So entfernt sich Mama mit ihrer Liebe zur französischen Küche von Papa, ihr gastronomischer Liberalismus kennt keine Grenzen, ausgenommen Frösche. Sie sagt, dass die unangenehm nach Fisch röchen, dass das etwas zwischen Huhn und Fisch sei, sie findet die Behauptung, Froschschenkel seien besonders zart und saftig, »lachhaft« (ein Lieblingsausdruck von ihr), aber vielleicht spricht da auch der russische Ekel aus ihr. An den Froschschenkeln scheitern die russischen Gallomanen.
    Ich verstehe die Wut meiner Stammesgenossen, die nicht genug gefüttert und gehätschelt wurden und aufschreien: Leck mich doch am Arsch (Papa würde übrigens auch dieses Wort niemals gebrauchen) mit deinen Fröschen! Sie hassen mich aufrichtig und sehr lebhaft. In ihren gebrochenen Lebensläufen haben sie ohne Frösche und Poireau-pomme-de-terre einen Sinn gefunden und sind ihm treu geblieben. Sie konnten sich alles erklären und Rechtfertigungen finden. Ich bin froh, dass ihnen das gelungen ist. Ich gehe lieber auf Distanz. In meiner Kultur existiert eine doppelte Staatsbürgerschaft. Sie resultiert aus der Semiotik des Alltags, aus jenen unsichtbaren Kleinigkeiten, die mir in Fleisch und Blut übergegangen sind. Diese doppelte Staatsbürgerschaft erlaubt es mir zu sagen, dass Russland nicht zu Europa gehört: Es hat eine andere, Europa oft feindliche Natur.
    Zusammen mit unserer Familie leben in der Botschaft, der Handelsvertretung, dem Konsulat und anderen sowjetischen Institutionen Hunderte von sowjetischen Menschen. Auch sie laufen durch Paris und kaufen sich sogar

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