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Der gute Stalin

Der gute Stalin

Titel: Der gute Stalin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Jerofejew
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Indianer hatten Hakennasen, Bögen und Tomahawks. Ihre schrecklich angemalten Gesichter waren von Bosheit verzerrt. Sie waren eindeutig Feinde, die Cowboys in roten Hemden, mit Lassos, Revolvern oder Gewehren in den ausgestreckten Händen dagegen verwegen lächelnde Kerle. Einige ritten zudem noch wagemutig auf Pferden. Die Cowboys und Indianer wurden von meinen Eltern nicht abgelehnt, aber für mich taugten sie nicht, weil ästhetisch bereits im Voraus entschieden war, welche Seite den Kampf gewinnen würde.
    Völlig gleichgültig ließen mich die historischen Soldaten der napoleonischen Kriege, die mit großer Kunstfertigkeit gemacht waren. Ich war damals noch nicht reif für Geschichte, hatte keine Lust, Vergangenheit zu spielen. Ich brauchte Panzer und keine Kanonen mit Kugeln. Mir gefielen die modernen französischen Soldaten. Sie waren beweglich, aus Plastik, beinahe mit lebendiger Haut, aber irgendetwas an dem Plastik war zu leicht, und darum war es nicht schwierig, sie mit dem Gummiband umzuflitschen. Ich sehe deutlich den metallenen französischen Kommandeur (ich nannte ihn Hauptmann) vor mir, mit braungrüner Uniform und Helm, auf dem seitlich die französische Trikolore aufgemalt war. Er geht in den Kampf, die Pistole in der rechten Hand vorgestreckt. Er hat dicke, vielleicht sogar zu dicke schwarze Augenbrauen, die mich ein wenig irritieren. In allem Übrigen ist er das Ideal eines Kriegers. Ihm nach ziehen einfachere Soldaten ins Gefecht, aber sie haben Maschinengewehre, Granatwerfer, alle mögliche Technik inklusive Jeeps. Die sowjetischen Ölgötzen kauft man in großer Zahl; ihr Tod hat keine Bedeutung. Die französische Armee mit ihrem Hauptmann an der Spitze demonstriert ihre Flexibilität.
    Ich schoss mit dem Gummiband abwechselnd mal auf die einen, mal auf die anderen – und sie griffen an, versteckten sich hinter den Tischbeinen. Als erschossen galt, wer auf dem Boden lag, als verwundet, wer sich, nicht ganz umgefallen, an einen Wagen lehnte oder gegen einen Waffenbruder. Die Verwundeten blieben drei Runden liegen und erhoben sich dann erneut zur Attacke. Ich spielte tagelang Krieg, selbstvergessen, als übte ich für meine Bestimmung, ich vergaß, meine Schulaufgaben zu machen, zu Abend zu essen und zu schlafen, ich wünschte nur eins: dass meine Eltern mich nicht störten. Manchmal erforderte der Krieg eine größere Anzahl von Soldaten, und dann dienten Schachfiguren als Verstärkung. Aufgeteilt in Schwarze und Weiße, zogen auch sie genauso wie die Soldaten in den Kampf als Vorboten der Sternenkriege.
    Ich schoss ehrlich, darauf bedacht zu treffen, genauso wie ich Schach gegen mich selbst spielte, aber manchmal, wenn mein geliebter Hauptmann auf seinem ovalen Fuß fiel, griff ich zu einer List und tat so, als sei er auf eine Hand gefallen und also nur verletzt. Die sowjetischen Truppen waren mir teuer mit ihrer Fahne, aber im Grunde meiner Seele war ich für die Franzosen. Wären die französischen Soldaten schlechter gemacht gewesen, hätte ich keine gemeinsame Sprache mit ihnen gefunden. Wäre Frankreich kein so köstliches, duftendes und vor allem vertrautes Land gewesen, wäre ich ein sowjetischer Mensch geworden.
    *
    Macht sich der russische Schriftsteller, der einen unwiderstehlichen muffigen Geruch besitzt, ans Schreiben seiner Autobiografie, hat er ein einziges Ziel: sich selbst als Gipfel der russischen Welt zu präsentieren, als Weihnachtsstern, der auf der Spitze des Tannenbaums steckt. Alle anderen Schriftsteller sind nur zusätzliche Figuren, die weiter unten hängen, von den Zweigen herunterfallen, aber nicht am Boden zerbrechen, sondern frech auf und nieder hüpfen.
    Im Unterschied zu anderen Ländern, die Anspruch auf Originalität erheben, hält sich Russland nicht nur für einen Träger einzigartiger Werte, sondern auch für ein großartiges Land, das die Welt mit seinen Strahlen universaler Wahrheit erleuchtet. Aus demselben Holz wie Russland ist auch der russische Schriftsteller geschnitzt, der sich mit seinem Anspruch auf weltweite Geltung vorübergehend im Verborgenen hält, aber kaum treffen ihn Strahlen wenigstens lokalen Ruhms, erscheint auch schon aus der Larve – nein, kein Schmetterling, sondern ein Dinosaurier, der sich selbst zum König der Tiere erklärt.
    »Ich erkenne weder die Philosophen des Westens noch die Weisen des Ostens an«, sagt der russische Schriftsteller. »Ich gehöre nur dem russischen Gott.«
    Der russische Gott macht aus der Autobiografie

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