Der Gute Ton 1950
unternimmt: ein
Mittagessen, ein Abendessen, einen gemeinsamen Theaterbesuch mit
anschliessendem Abendessen, oder einen Bummel in Nachtlokalen. Die
Einladung darf keinen gezwungenen Eindruck machen. Sie brauchen
das Wort »einladen« nicht ausdrücklich zu betonen, um Ihren Gästen
zu verstehen zu geben, dass sie sich um die Finanzierung des Abends
nicht zu kümmern brauchen. Ein Herr, der einmal sagte: »Wenn es
Ihnen passt, wollen wir morgen zusammen im Hotel XX zu Mittag
essen, ich meine, wir lassen unsere Tische aneinanderrücken«, hat sehr
taktlos seiner Angst, die gemeinsame Rechnung bezahlen zu müssen,
Ausdruck verliehen. Aber seine »Gäste« hatten genau verstanden, was
er meinte. Sie konnten sich ruhig an der geistreichen Gesellschaft ihres
»Gastgebers« erfreuen, aber die Kosten ihres Essens trugen sie selbst.
Wenn man jemanden vorschlägt gemeinsam zu essen, bedeutet dies
normalerweise, dass man die Rechnung bezahlt. Wenn es sich aber um
einen Kollegen handelt oder um Freunde, mit denen man täglich isst,
zahlt natürlich jeder seine Rechnung selbst, denn dies ist keine
Einladung.
DAS PROGRAMM.
Die erste Pflicht seinem Gast gegenüber ist, den Ort des Treffens und
ein vorläufiges Programm zu vereinbaren. Man ladet nicht zu einem
Theaterstück oder Film ein, den die Gäste schon gesehen haben oder
nicht ansehen wollen. Vielleicht haben sie sich auch geschworen,
bestimmte Restaurants nie zu besuchen. Sie können Lokale ungepflegt
finden, die Ihnen malerisch scheinen, Ihre Gäste sind nicht verpflichtet,
den gleichen Geschmack zu haben wie Sie, aber an diesem Abend
befiehlt der Geschmack Ihres Gastes. Man ladet auch keinen Vegetarier
zum Essen ein, um vor ihm ein rosarotes Beefsteak zu verzehren.
Ebenso wäre es taktlos, einen Schwerhörigen in ein Kabarett
mitzunehmen.
FALSCHE EINLADUNGEN.
Eine Dame oder ein junges Mädchen sind nicht mehr für ihr ganzes
Leben kompromittiert, wenn sie in einem Lokal in Begleitung eines
Mannes erscheinen, der weder ihr Vater noch ihr Bruder ist. Es ist für
ein schüchternes, junges Mädchen unangenehm, allein in ein Theater,
ein Kaffee oder Kabarett zu gehen. Wenn sie auf solch harmlose
Vergnügungen nicht verzichten will, wird sie einen Arbeits- oder
Studienkollegen bitten mitzukommen. In diesen Fällen ist der Mann
nur Begleiter, aber nicht Gastgeber. Die junge Dame soll nachher daran
denken, und ihrem Begleiter das Geld, das er für sie auslegte,
zurückzugeben. Sie wählt dazu einen geeigneten Augenblick. Dem
Begleiter sollte diese »Abrechnung« nicht peinlich sein, er passt sich
nur den Gesetzen des siegreichen Frauenrechts an. Jedoch ist die
Komödie, den Herrn bezahlen zu lassen, um nachher zurückzuzahlen,
nicht erforderlich. Jeder kann für sich zahlen.
BEANTWORTUNG EINER EINLADUNG.
Wurde die Einladung schriftlich gemacht, darf man die Antwort
nicht hinauszögern, man muss bald antworten. Bei einer mündlichen
Einladung sind Sie etwas in die Enge getrieben. Sollte man nicht gerne
zusagen, ist es schwerer eine Ausrede zu finden. Man sollte nie
fadenscheinige Ausreden gebrauchen, sondern immer einen
Verwandten »auf Vorrat« haben, der gerade zu Besuch kommen will.
Diese Ausrede gibt Ihnen immer noch die Möglichkeit, einige Tage
später, die Einladung anzunehmen, wenn sie erneut ausgesprochen
wird. Hoffentlich wird man Sie nicht bitten, den »Verwandten« mitzu-
bringen! Aber vermeiden Sie Märchen und wenn Sie nicht gut
schwindeln können, nehmen Sie lieber die Einladung an. Sie werden
daran nicht sterben. Sagen Sie nicht, dass Sie ein Stubenhocker
geworden sind, wenn Sie noch nicht achtzig Jahre erreicht haben. Ihre
Ablehnung wäre unhöflich und lächerlich. Sprechen Sie auch nicht von
Ihrer Diät oder von Ihrer schwachen Gesundheit. Vor allem lehnen Sie
eine Einladung nicht mit der Begründung ab, dass es besser wäre,
solche Ausgaben zu sparen, dass Sje die Mühe, die Sie verursachen, gar
nicht wert seien. Sie können eine Einladung ablehnen, aber Sie müssen
die finanzielle Lage Ihres etwaigen Gastgebers aus dem Spiel lassen.
Glauben Sie auch nicht, dass diese Einladung für Ihre Freunde ein
Ereignis ist. Ihre Absage muss wahrscheinlich sein, wenn sie höflich
sein soll. Wenn Sie eine Einladung gezwungen annehmen, können Sie
überzeugt sein, dass Ihre Haltung Ihre Gastgeber entmutigen wird, Sie
je wieder einzuladen. Wenn Sie einmal »Nein« gesagt haben, sollen
keine Gewissensbisse
Weitere Kostenlose Bücher