Der Gute Ton 1950
Sie zwingen, diese Entscheidung zu ändern. Sie
würden dadurch eingestehen, dass Ihre Entschuldigung erfunden war,
und keine Folter auf der Welt darf Sie zwingen, dies je zuzugeben.
WER LADET ZUERST EIN?
Natürlich die wichtigere Person. Wir können nicht unseren Chef
einladen, wenn er uns nicht zuerst eingeladen hat — und selbst dann
ist es ziemlich heikel. Die angenehmste Gesellschaft findet man bei
gleichgestellten Menschen. Auch wenn man sehr demokratisch denkt,
soll sich ein Chef nicht wundern, wenn sich ein Angestellter — wenn er
nicht sein enger Mitarbeiter ist — ein wenig wie »abkommandiert«
fühlt, wenn er ihn einladet. Er vermeidet deshalb, seine Untergebenen
in diese Lage zu bringen. Noch weniger empfiehlt sich eine
unerwartete Vertraulichkeit, die man im Büro sogleich vergessen sollte.
Selbst wenn es seine finanzielle Lage erlaubt, ladet ein Angestellter
seinen Chef nicht ein, er würde dadurch zu demokratische Gefühle
zeigen.
SICH REVANCHIEREN.
Selbstverständlich soll man sich revanchieren. Aber ohne
übertriebene Eile und nur in dem Mass, wie es Ihnen möglich ist. Sie
können nicht eine Einladung von jemanden ablehnen, der reicher ist als
Sie, nur weil Sje fürchten, dass Sie ihn später nicht so gut bewirten
können, wie er Sie bewirtete. Das wäre kleinlich gedacht. Es ist
selbstverständlich, dass ein reicher Mensch Sie anders empfangen
kann, als Sie es mit dem besten Willen tun können. Wenn Sie es ihm
gleichtun wollen, beweist dies, dass Sie nicht »Format« genug besitzen.
Man erwidert keine Einladung, indem man seine früheren Gastgeber
nachahmt. Auch in der entlegensten Provinz verzichtet man heute
darauf, einander in der Ueppigkeit einer Einladung zu übertreffen.
Man leiht sich zu diesem Zwecke nicht einen Diener mehr, noch
serviert man einige Vorspeisen mehr.
Es ist spiessbürgerlich, die Einladung so schnell wie möglich zu
erwidern. Dies erweckt den Eindruck, als wollte man sich bald von
seinen Verpflichtungen den Gastgebern gegenüber befreien. Man sollte
lieber auf eine ungezwungene Gelegenheit warten. Man muss nicht
unbedingt eine Einladung zum Abendessen mit einer Einladung zum
Abendessen erwidern. Es kann daraus auch eine Einladung zum
Theater werden, oder es darf ein mit Sorgfalt gewähltes Geschenk oder
dürfen Blumen sein. Man soll sie aber nicht am Tag nach der
Einladung schicken lassen. Dies ist nur erlaubt, wenn man für längere
Zeit verreist. Dann ist es gleichzeitig ein »Auf Wiedersehen-Sagen«
und eine Aufmerksamkeit. Bietet sich diese Möglichkeit nicht, dann
wartet man auf eine andere, gute Gelegenheit.
Ein Untergebener, der in das Haus seines Chefs eingeladen war,
zeigt seinen Dank besser in einem Geschenk für die Gastgeberin als in
einer Rückeinladung in sein Haus.
UNGELADENE GÄSTE.
Die Regel scheint Ihnen vielleicht altmodisch, aber man soll nicht in
einer Gesellschaft erscheinen, wenn man nicht richtig eingeladen ist.
Im allgemeinen schätzen Gastgeber diese Art von Ueber-raschungen
durch ungeladene Gäste nicht. Nur in einem einzigen Fall wird es als
richtig angesehen, bei jenen sogenannten amerikanischen
»Surpriseparties«, über die wir noch ausführlich sprechen.
Es ist klüger, Sie spielen die Rolle des ungeladenen Gastes nicht, und
verleiten auch andere nicht, sie zu spielen.
IX.
GEMEINSAMES AUSGEHEN
BESUCH VON LOKALEN
Der Teufel selbst hat einen Genossen nötig.
Altes Sprichwort
Diese Sitte bürgert sich täglich mehr ein. Sie hat den Vorteil, dass wir
Menschen einladen können, die wir nicht in die Traulichkeit unseres
Heims einführen wollen, oder die wir zu Hause nur mit
Schwierigkeiten empfangen könnten. Wir nehmen hier eine
amerikanische Sitte an: denn in den Vereinigten Staaten kennt man
eine Einladung zu einem Essen nach Hause, fast nicht, man lädt nur zu
Tee und Cockteil ein. Die grossen Essen finden in dem Privatsalon
eines Hotels statt. Die amerikanischen Hausfrauen ersparen sich
dadurch die unzähligen Sorgen, die ein richtiger Empfang zu Hause
mit sich bringt. Man täuscht sich aber, wenn man glaubt, dass ein
gemeinsames Ausgehen keine Vorbereitungen verlangt.
VORBEREITUNGEN.
Es genügt nicht, wenn die Gäste das ungefähre Programm des
Abends oder der Nacht in grossen Linien kennen. Der Gastgeber muss
dessen Erfüllung einhalten. Als erste Regel gilt: nicht zu viele Gäste
einladen, denn es ist schwer, verschiedene und zahlreiche Menschen
gleichzeitig
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