Der Gute Ton 1950
zufriedenzustellen. Alle Einzelheiten des kleinen Festes
müssen durchdacht und vorbereitet sein. Es ist unnötig, seine Gäste in
freudige Aufregung durch die Ankündigung zu versetzen, dass sie
ihren Lieblingsschauspieler auf der Bühne sehen werden, um dann an
der Theaterkasse zu hören, dass nur noch ein paar einzelne Notsitze
frei sind. Es ist auch überflüssig, dass Sie eine so genaue Beschreibung
der köstlichen Spezialitäten des Restaurants geben, das Sie besuchen
wollen, so dass Ihren Gästen das Wasser im Munde zusammenläuft —
um dann schliesslich keinen Tisch zu finden — oder vor
verschlossenen Türen zu stehen.
ZU VIEL ORGANISATION
Allerdings empfiehlt sich auch ein allzu genauer Stundenplan nicht.
Ihre Gäste sind keine Maschinen, und sie wollen gern einige
Augenblicke zwischen dem Käse und dem Kompott verschnaufen. Sie
sollen sich auch nicht an dem heissen Kaffee verbrennen, den sie in
aller Hast trinken, weil sich zwei Minuten später der Vorhang für die
Oper hebt, zu der Sie eingeladen haben. Sie müssen auch im voraus die
Verkehrsmittel bestimmen, die Ihren Gästen und dem vorgesehenen
Programm am besten entsprechen.
IN DER STRASSENBAHN.
Wenn Sie ganz anspruchslos die Strassenbahn oder den Omnibus
gewählt haben, ist Ihre Haltung ein wenig anders als wir sie
Unbekannten gegenüber empfahlen. Sie lassen Ihre Gäste zuerst
einsteigen, und die Plätze einnehmen, es ist besser, Sie stehen als Ihre
Gäste. Sie haben die Sorge für sie übernommen und dürfen nicht
jammern, dass Sie mal wieder kein Kleingeld haben, so dass Ihre Gäste
in ihre Tasche greifen und für Sie mitzahlen müssen, obschon es Ihre
Pflicht ist, die Fahrtkosten für alle zu begleichen. Falls sich Damen in
Ihrer Gesellschaft befinden, steigen Sie als erster aus der Bahn oder
dem Omnibus und reichen ihnen eine hilfreiche Hand. Wenn Sie der
Ansicht sind, dass man auch die kleinste Summe sparen soll, oder
wenn Sie glauben, dass Ihre Gäste einen gesunden kleinen Spaziergang
in der frischen Luft schätzen, dann schlagen Sie vor, die »schnellen«
Verkehrsmittel zu verschmähen und sich zu Fuss an den vorgesehenen
Ort zu begeben. Sie können einer Dame Ihren Arm anbieten, wenn Sie
allein mit ihr sind und sie dadurch nicht kompromittieren, das heisst,
wenn Sie ziemlich nahe verwandt miteinander sind. Nach Mitternacht
urteilt man etwas grosszügiger, wenn Sie einer Dame Ihren Arm
geben. Normalerweise reichen Sie den linken Arm, damit die rechte
Hand zur »Verteidigung« frei ist, falls dies notwendig werden sollte.
Auf der Strasse sollte man diese Vorschrift nicht allzu genau nehmen,
da sich der Herr auf der Seite des Bordsteins halten muss, um die
Dame vor den Gefahren der Fahrbahn zu schützen. Wenn ein Herr
mehrere Damen begleitet, geht er nicht in ihrer Mitte, sondern stets auf
der Bordsteinseite, es sei denn, die Stimmung ist schon so heiter, dass
er beide Arme vergibt.
IM WAGEN.
Wenn Sie »motorisiert« sind oder eine Taxe bestellt haben, vergessen
Sie nicht, dass der Ehrenplatz hinten rechts ist. Die wichtigste Dame
oder der wichtigste Herr, falls keine Dame da ist, wird ihn einnehmen.
Wenn eine Dame von einem Herrn in seinen Wagen eingeladen wird
der ihn selbst steuert, soll sie auf den Ehrenplatz verzichten und sich
neben den Herrn nach vorne setzen.
Der Wagen, in den Sie einsteigen, ist vielleicht eine jener rollenden
Sardinendosen, die man in Europa, unter dem Vorwand, Benzin zu
sparen, fabriziert. Es könnte aber auch ein geräumiger, eleganter Salon
sein, aus den Vereinigten Staaten importiert, in den bequem zehn
Personen hineingehen, ohne dass sie das System eines Taschenmessers
anwenden müssen. In jedem Fall beglückwünscht ein Gast den Besitzer
des Wagens zu dem guten Lauf des Motors — falls er nicht
abergläubisch ist und fürchtet, dass dieses Kompliment eine jener
tückischen Pannen hervorruft, die nur die »besten« Wagen erleiden.
Wenn Sie in einem kleinen Wagen rauchen, wird die Gesellschaft bald
kochen. Aber auch in einem grossen Wagen rauchen Sie lieber nicht,
nicht nur aus Höflichkeit, sondern auch aus Vorsicht. Es ist nicht klug,
seine eigenen Kleider zu verbrennen, aber es ist wirklich unfreundlich,
die Kleider Ihrer Nachbarn oder die Sitzpolster zu versengen.
IM THEATER.
Wenn Sie Ihre Freunde zu einer Theatervorstellung einladen, müssen
Sie die Plätze unbedingt reservieren lassen. Aber glauben Sie nicht,
dass Sie nur eine
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