Der Gute Ton 1950
ersten
Mal, '— um einander nicht so schnell überdrüssig zu werden. Sie
verabredeten sich in einem Restaurant, setzten sich an den selben
Tisch, er machte ihr den Hof, als habe der Zufall sie zum ersten Mal in
ihrem Leben zusammengeführt. Sie sind dann doch geschieden
worden, aber vielleicht hätten sie sich ohne diese kleine Komödie
schon früher getrennt. Wenn ein Streit am Horizont steht, soll eine Frau
ihren Mann sogar ein wenig als Fremden betrachten. Ihre gute
Erziehung wird es ihr dann verbieten, die Stimme zu erheben und böse
zu werden — und kein Mann wird sich deswegen beklagen. Sie soll ab
und zu ihre Eifersucht zeigen, ihr Mann wird sich dadurch
geschmeichelt fühlen: sonst könnte er glauben, dass seine Frau ihn als
harmlos betrachtet; er könnte versucht sein, ihr das Gegenteil zu
beweisen Aber die Eifersucht gibt ihr nicht das Recht, Briefe zu öffnen,
die an ihren Mann gerichtet sind. Liebe enbindet nicht von der Pflicht
zur Diskretion! In der Oeffentlichkeit sollte man nicht streiten,
ebensowenig die ewig Verliebten spielen. Die Menschen von heute
denken immer das Schlechteste; in einem ehelichen Kuss sehen sie nur
einen Waffenstillstand oder eine Waffenruhe zwischen zwei Schlachten
Viele sind der gleichen Meinung wie der berühmte englische Humorist
Noel Coward, der behauptet: »Die Ehe ist ein Ueberbleibsel der
Menschenfresserei, man muss sich nur fragen, wer wen frisst.« Wir
können dem nur hinzufügen, dass uns die Regeln des guten Tons
lehren, anständig zu essen, ohne den anderen wehzutun, selbst denen
nicht, die man auffressen will.
Wenn die Eheleute vor Dritten von einander sprechen, sagen sie
»meine Frau« oder »mein Mann«, wenn sie nicht genügend befreundet
mit den Dritten sind, um den Vornamen des Partners zu sagen. Es gibt
Eheleute, die von ihrem Partner als Frau X oder von Herrn Y sprechen,
sie halten es vielleicht für angebrachter. Vielleicht stört sie das
Wörtchen »mein«. Dieses besitzanzeigende Wort »mein« ist nur eine
Redensart. Sacha Guitry bemerkte einmal, dass man auch von »seinem
Zug« spricht, selbst wenn man ihn verpasst hat.
Der Mann soll sich seiner Frau gegenüber so taktvoll benehmen wie
die Frau ihm gegenüber. Die Regeln der Ritterlichkeit verlangen von
ihm viel Aufmerksamkeit.
Der Ehemann soll keine Gelegenheit vorbeigehen lassen (Feiertage,
Geburtstage usw.) um seiner Frau den Beweis zu bringen, dass er an
sie denkt. Er soll öfters Blumen mit nach Hause bringen, wie es sich für
einen Stammgast schickt. — Er darf auch gelegentlich Handgriffe im
Haushalt tun! Wenn er mit seiner Frau ausgeht, soll er sich so
behandeln, als sei sie eine fremde von ihm eingeladene Dame. Die Frau
soll nicht von anderen Männern die Verehrung erwarten, die ihr Gatte
ihr versagt.
Es gibt Männer, die behaupten, dass ihre Geschäftssorgen ihnen
keine Zeit und Lust mehr lassen, ihre Frau zu hofieren. Eheleute die
arbeiten, und das gilt auch für die Frau, schulden einander gegenseitig
noch mehr Rücksichten und sie müssen die wenigen Stunden, die sie
zusammenverleben, so vollkommen wie möglich gestalten. Sie müssen
lernen, ihre Sorgen zu vergessen. Aber sie werden ihre Sorgen nicht
vergessen, wenn sie schlecht gelaunt und grob zueinander sind. Die
guten Manieren sollen nicht aus dem Haus verbannt werden. Ohne sie
gibt es kein dauerhaftes Glück.
Und Glück ist es doch, was wir suchen, in unserer Familie und im
Beruf. Wenn unser kleines Buch Ihnen den Weg dazu zeigt, so hat es
sein Ziel erreicht. Wir hoffen dann, dass Sie es nicht bedauern, uns auf
diesem Spaziergang ins Land der guten Manieren und des guten Tons
begleitet zu haben.
ENDE
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