Der Gute Ton 1950
die als Ergebnis doch nur bedauerliche
Irrtümer zeitigen würden. Ihr gesellschaftlicher Ruf verbietet es Ihnen,
in einer Situation linkisch oder gar verlegen zu sein, die rasches,
gewandtes Handeln von Ihnen fordert. Die Unkenntnis der guten
Umgangsform ist meist die Ursache eines unsicheren, unbeholfenen
Benehmens. Gute Umgangsformen sind unentbehrlich, um
Charme und Persönlichkeit eines Menschen denen gegenüber zur
Entfaltung zu bringen, deren Freundschaft oder deren Unterstützung
er sucht.
Gute Sitten sind kein Zeitvertreib für Nichtstuer, wie viele glauben.
Sie spielen eine zu wichtige Rolle im Leben eines jeden Menschen, als
dass man sie vernachlässigen dürfte, wenn man auf irgendeinem
Gebiet Erfolg haben will.
Und nun wollen wir gemeinsam die Klippen und Fährnisse
entdecken, die das Leben in Gesellschaft denen als unangenehme
Ueberraschung vorbehält, die unfähig sind, sich zu beherrschen und zu
überwinden. Wir geben Ihnen die Antworten auf Fragen, wie sie die
guten Sitten gefunden haben. Wenn Ihre Ansicht mit der unsern nicht
übereinstimmt, müssen Sie nicht unbedingt auf Ihre Meinung
verzichten. Wir haben nichts erfunden, sondern nur das
aufgeschrieben, was der gute Ton für glückliche oder traurige, für
spannende oder langweilige Augenblicke empfiehlt, und was er
Bekannten und Unbekannten, Verwandten, intimen Freunden, wie
auch unseren Feinden gegenüber, vorschlägt. Wir hoffen, dass wir Sie
nicht enttäuschen und dass Sie es nicht bedauern werden, uns auf
diesem Spaziergang in das Land des guten Tons begleitet zu haben.
I.
KLEIDER MACHEN LEUTE
Was ist das, was uns deckt,
und gleichwohl auch entdeckt?
Friedrich von Logau
Viele sprechen dieses alte Sprichwort aus, und noch mehr denken es.
Aber selbst wer es weder denkt noch sagt, wird doch häufig unbewusst
durch die Kleidung beeinflusst. Sie ist ein wichtiger Faktor in der
Beurteilung desjenigen, der vor ihm erscheint. Und kein Psychologe
kennte es ihm verdenken. Es ist unsere Höflichkeitspflicht, uns in einer
Kleidung vorzustellen, die, wenn sie nicht gerade elegant ist, so doch
keinesfalls einen unangenehmen Eindruck auf den macht, den wir
treffen oder besuchen.
ELEGANZ UND MODEVERRÜCKTHEITEN.
Schon beim Aufstehen müssen wir an den »Anderen« denken und
uns bemühen, dass er nicht mit Recht etwas an unserer äusseren
Erscheinung aussetzen kann. Es gibt Menschen, die Sie auf diesem
Gebiet zu Uebertreibungen und Extravaganzen ermutigen. Vielleicht
gehören sie einem Milieu an, in welchem der Ruhm von einem mehr
oder weniger glücklichen Witz abhängt, von einer auffallenden
Krawatte, von einer gewagten Neuheit in der Kleidung. Man
behauptet, diese Extravaganzen seien der Ausdruck der Persönlichkeit;
wir glauben eher, dass sie deren Fehlen verbergen sollen. Diese
angeblichen Dandies werden durch den berühmtesten Dandy des 19.
Jahrhunderts verurteilt: Brummel äusserte einmal, dass man die
wirkliche Eleganz nicht bemerkt, und Stendhal tat einmal den
Ausspruch: »Ein Mann ist elegant, wenn niemand sagen kann, welche
Kleidung er trug, nachdem er den Salon verlassen hat.«
DIE SAUBERKEIT.
Wir brauchen uns nicht zu bemühen, Aufsehen zu erregen, wir
sollten aber danach trachten, nicht auffallend zu wirken. Wir wissen
wohl, dass es für eine Frau verlockend ist, und dass sie sich nicht allein
deswegen elegant kleidet, um von fsAannern bewundert zu werden,
sondern um ihre besten Freundinnen in den Schatten zu stellen. Dabei
wird häufig übersehen, dass es keine Eleganz ohne peinlichste
Sauberkeit gibt, und dass die Höflichkeit unseren Mitmenschen
gegenüber erfordert, ihnen den Anblick schwarzer Trauerränder unter
den Nägeln oder eines zweifelhaft sauberen Halses zu ersparen, den
selbst schöne Halsketten nicht verbergen können. Es ist besser, sich
einfach zu kleiden, wenn man nicht imstande ist, regelmässig die
Zähne zu putzen, oder wenn ein Bad ein solch bedeutsames Ereignis ist
wie im Mittelalter, als man Freunde und Bekannte dazu einlud.
Damals war ein Bad ein Erlebnis, das sich wahrscheinlich nicht jeden
Tag wiederholte, obwohl das Mittelalter eine wesentlich reinlichere
Epoche war, als man behauptet,und es stand den Fragen der Hygiene
aufgeschlossener gegenüber als die »Eleganz« des 17. und 18.
Jahrhunderts. Hoffen wir nicht, dass ein nicht ganz sauberer Kragen an
einem Herrenhemd unbemerkt bleibt, oder, dass man Detektiv sein
muss, um auf einer Jacke die
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