Der Gute Ton 1950
Gebrauch der Schreibmaschine als salonfähig
angenommen wird!
DIE RECHTSCHREIBUNG.
Viele glauben es sei ein Zeichen fortschrittlichen Geistes, wenn man
die Regeln der Rechtschreibung verachtet. Dies lässt eher darauf
schliessen, dass Erziehung und Bildung ziemlich oberflächlich sind;
diese Entdeckung kommt immer noch früh genug. Es ist erstaunlich,
wie viel schneller man die Rechtschreibefehler anderer bemerkt als die
eigenen. Ein glühender Liebhaber fragte mit vor Aufregung zitternder
Stimme Becky Sharp: Haben Sie meinen Brief erhalten? Und die Heldin
des »Jahrmarkt der Eitelkeiten« aus dem berühmten Roman von Sacre,
antwortete rücksichtslos: »Ich habe viele Rechtschreibefehler darin
gefunden.« Es ist besser, Rechtschreibung zu lernen oder Briefe
nochmals durchzulesen, als solche Bemerkungen herauszufordern. Sie
beleidigen uns, auch wenn wir behaupten, die Rechtschreiberegeln zu
verachten.
DIE UNTERSCHRIFT.
Die Unterschrift muss den ausgeschriebenen Vor-und Zunamen
enthalten, aber keinen Titel. Sie muss
so einfach wie möglich sein. Es ist eine Tatsache, dass die schwierigsten
Verschnörkelungen Ausdruck eines anmassenden und eingebildeten
Charakters, und zudem am leichtesten nachzuahmen sind.
DIE TINTE.
Wie bei der Wahl der Papierfarbe, soll man auch nicht durch die
Farbe der Tinte seine Persönlichkeit beweisen wollen. Man nimmt
keine grüne oder rote Tinte, auch keine hellblaue, man wählt nichts
anderes als Schwarzblau. Die anderen Farben sind nur erfunden
worden, um empfindliche Augen zu verblüffen und kleine Kinder zu
belustigen.
BRIEFMARKE FÜR RÜCKANTWORT.
Sie können eine Briefmarke für die Rückantwort an eine Behörde
mitsenden, obwohl diese in den meisten Fällen das Vorrecht hat,
»Dienstfrei« zu antworten. In allen anderen Fällen ist es besser, diese
Briefmarke zu sparen. Eine Briefmarke beilegen heisst, dass man den
Empfänger zwingen will zu antworten, oder man drückt die
Vermutung aus, dass der Empfänger nicht geantwortet hätte, wenn er
das Briefporto hätte zahlen müssen. Das ist unkorrekt der Person
gegenüber, der Sie schreiben. Und erhoffen Sie nicht zu viel von
Menschen, die sich über Ersparnisse freuen, die sie auf Ihre Kosten
gemacht haben.
UMSCHLÄGE.
Auf einem Umschlag vermeidet man alle Abkürzungen. Jede
Abkürzung ist unhöflich, auf dem Umschlag, wie im Brief selbst. Man
schreibt nicht »Frl.« Maria Schmidt, sondern Fräulein Maria Schmidt.
Auf einem Umschlag gibt es keinen Unterdirektor. »Unter« ist
überflüssig. Man fasst eine Adresse in Deutschland anders ab, als in
allen anderen Ländern. Bei Briefen ins Ausland setzt man nach dem
Namen des Empfängers den Namen desjenigen, bei dem der
Betreffende wohnt, dann folgt der Name der Strasse, dem die
Hausnummer vorangeht, und zum Schluss setzen wir den Namen der
Stadt und des Landes. Das ist, wie Sie sehen, genau das Gegenteil von
dem, was wir machen. Schreibt man einem Engländer, der keinen
besonderen Titel besitzt, aber doch eine gewisse gesellschaftliche Stelle
innehat, steht hinter seinem Namen und Vornamen die Abkürzung
Esq., von Esquire (Ritter), also:
John Smith Esq.
42 th Regent Street
London WC 2
Great Britain
OFFENE BRIEFE.
Wenn man einen Brief einem Dritten abgibt, ist es unhöflich, den
Umschlag geschlossen zu überreichen. Ist der Brief kein
Empfehlungsschreiben, das den Ueberbringer selbst betrifft, bleibt der
Brief offen. Wird der Brief aber einer anderen Person als dem
Empfänger abgegeben, oder in einen Briefkasten geworfen, muss der
Bote den Brief sofort schliessen. Es gehört nicht mehr in das Gebiet der
Höflichkeit, wenn man einen Brief liest, der einem offen übergeben
wird; es gehört bereits in das Gebiet der Moral.
Die reizende Sitte, Briefe mit Lack zu versiegeln, erinnert an die
Zeiten, als man noch mit einer Hühnerfeder schrieb. Die gummierten
Briefumschläge haben diese bunten Siegel überflüssig gemacht, die
heute beinahe lächerlich wirken.
BEANTWORTUNGSFRIST.
Sie soll so kurz wie möglich sein. Die Chinesen, die Philosophen
sind, stellten fest, dass man eine seltsame Beobachtung macht, wenn
man ein paar Wochen oder Monate bis zur Beantwortung wartet. Die
Briefe, die am dringendsten eine Erledigung verlangten, brauchten
keine Anwort mehr. Wer so denkt, und nicht in China wohnt, sollte
sich lieber sofort in die Wüste zurückziehen, wenn er für seinen
Nächsten nicht mehr Höflichkeit und
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