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Der Gute Ton 1950

Der Gute Ton 1950

Titel: Der Gute Ton 1950 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans H. Wiese
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Gebrauch der Schreibmaschine als salonfähig
    angenommen wird!
    DIE RECHTSCHREIBUNG.
    Viele glauben es sei ein Zeichen fortschrittlichen Geistes, wenn man
    die Regeln der Rechtschreibung verachtet. Dies lässt eher darauf
    schliessen, dass Erziehung und Bildung ziemlich oberflächlich sind;
    diese Entdeckung kommt immer noch früh genug. Es ist erstaunlich,
    wie viel schneller man die Rechtschreibefehler anderer bemerkt als die
    eigenen. Ein glühender Liebhaber fragte mit vor Aufregung zitternder
    Stimme Becky Sharp: Haben Sie meinen Brief erhalten? Und die Heldin
    des »Jahrmarkt der Eitelkeiten« aus dem berühmten Roman von Sacre,
    antwortete rücksichtslos: »Ich habe viele Rechtschreibefehler darin
    gefunden.« Es ist besser, Rechtschreibung zu lernen oder Briefe
    nochmals durchzulesen, als solche Bemerkungen herauszufordern. Sie
    beleidigen uns, auch wenn wir behaupten, die Rechtschreiberegeln zu
    verachten.
    DIE UNTERSCHRIFT.
    Die Unterschrift muss den ausgeschriebenen Vor-und Zunamen
    enthalten, aber keinen Titel. Sie muss
    so einfach wie möglich sein. Es ist eine Tatsache, dass die schwierigsten
    Verschnörkelungen Ausdruck eines anmassenden und eingebildeten
    Charakters, und zudem am leichtesten nachzuahmen sind.
    DIE TINTE.
    Wie bei der Wahl der Papierfarbe, soll man auch nicht durch die
    Farbe der Tinte seine Persönlichkeit beweisen wollen. Man nimmt
    keine grüne oder rote Tinte, auch keine hellblaue, man wählt nichts
    anderes als Schwarzblau. Die anderen Farben sind nur erfunden
    worden, um empfindliche Augen zu verblüffen und kleine Kinder zu
    belustigen.
    BRIEFMARKE FÜR RÜCKANTWORT.
    Sie können eine Briefmarke für die Rückantwort an eine Behörde
    mitsenden, obwohl diese in den meisten Fällen das Vorrecht hat,
    »Dienstfrei« zu antworten. In allen anderen Fällen ist es besser, diese
    Briefmarke zu sparen. Eine Briefmarke beilegen heisst, dass man den
    Empfänger zwingen will zu antworten, oder man drückt die
    Vermutung aus, dass der Empfänger nicht geantwortet hätte, wenn er
    das Briefporto hätte zahlen müssen. Das ist unkorrekt der Person
    gegenüber, der Sie schreiben. Und erhoffen Sie nicht zu viel von
    Menschen, die sich über Ersparnisse freuen, die sie auf Ihre Kosten
    gemacht haben.
    UMSCHLÄGE.
    Auf einem Umschlag vermeidet man alle Abkürzungen. Jede
    Abkürzung ist unhöflich, auf dem Umschlag, wie im Brief selbst. Man
    schreibt nicht »Frl.« Maria Schmidt, sondern Fräulein Maria Schmidt.
    Auf einem Umschlag gibt es keinen Unterdirektor. »Unter« ist
    überflüssig. Man fasst eine Adresse in Deutschland anders ab, als in
    allen anderen Ländern. Bei Briefen ins Ausland setzt man nach dem
    Namen des Empfängers den Namen desjenigen, bei dem der
    Betreffende wohnt, dann folgt der Name der Strasse, dem die
    Hausnummer vorangeht, und zum Schluss setzen wir den Namen der
    Stadt und des Landes. Das ist, wie Sie sehen, genau das Gegenteil von
    dem, was wir machen. Schreibt man einem Engländer, der keinen
    besonderen Titel besitzt, aber doch eine gewisse gesellschaftliche Stelle
    innehat, steht hinter seinem Namen und Vornamen die Abkürzung
    Esq., von Esquire (Ritter), also:
    John Smith Esq.

42 th Regent Street
    London WC 2
    Great Britain
    OFFENE BRIEFE.
    Wenn man einen Brief einem Dritten abgibt, ist es unhöflich, den
    Umschlag geschlossen zu überreichen. Ist der Brief kein
    Empfehlungsschreiben, das den Ueberbringer selbst betrifft, bleibt der
    Brief offen. Wird der Brief aber einer anderen Person als dem
    Empfänger abgegeben, oder in einen Briefkasten geworfen, muss der
    Bote den Brief sofort schliessen. Es gehört nicht mehr in das Gebiet der
    Höflichkeit, wenn man einen Brief liest, der einem offen übergeben
    wird; es gehört bereits in das Gebiet der Moral.
    Die reizende Sitte, Briefe mit Lack zu versiegeln, erinnert an die
    Zeiten, als man noch mit einer Hühnerfeder schrieb. Die gummierten
    Briefumschläge haben diese bunten Siegel überflüssig gemacht, die
    heute beinahe lächerlich wirken.
    BEANTWORTUNGSFRIST.
    Sie soll so kurz wie möglich sein. Die Chinesen, die Philosophen
    sind, stellten fest, dass man eine seltsame Beobachtung macht, wenn
    man ein paar Wochen oder Monate bis zur Beantwortung wartet. Die
    Briefe, die am dringendsten eine Erledigung verlangten, brauchten
    keine Anwort mehr. Wer so denkt, und nicht in China wohnt, sollte
    sich lieber sofort in die Wüste zurückziehen, wenn er für seinen
    Nächsten nicht mehr Höflichkeit und

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