Der Gute Ton 1950
handelt. Wenn
wir Freunde auf unseren Besuch vorbereiten, geben wir ihnen die
Möglichkeit, uns nicht zu empfangen. Es könnte doch sein, dass unser
Besuch mit dem eines Dritten zusammenfällt, den wir aus irgendeinem
Grunde nicht treffen sollten.
Im Geschäftsleben ist das Telefon die grösste Erfindung des 20.
Jahrhunderts. Sein Missbrauch ist fast zu empfehlen. Man sollte aber
einen Geschäftsfreund nur dann auf seiner Privatnummer anrufen,
wenn er es erlaubt hat und nicht wenn wir seine Privatnummer auf
Schleichwegen erfahren haben. Was das Geheimnis der
Geheimnummern angeht, die die Gangster von Chicago so liebten, so
ist es in dem neuen Amerika besser gewahrt als im alten Europa. Es
lohnt sich nicht, von der Post zu verlangen, Ihre Nummer im Buch
nicht erscheinen zu lassen. Das ist nur ein Mittel um die Neugierde zu
reizen, und Ihre Geheimnummer schnell populär zu machen. Und
schliesslich empfiehlt es sich, telefonieren zu lernen. Telefonieren
können, heisst nicht nur die Nummer zu wählen, sondern genau zu
wissen, was man sagen will, wenn die Verbindung hergestellt ist. Wie
schade, dass die Post die Stadtgespräche nicht mehr nach ihrer Dauer
berechnet. Wieviele hätten dadurch gelernt, sich als wohlerzogene
Menschen zu benehmen, und würden die Angerufenen nicht mit
endlosen Reden belästigen, die nichts anderes kosten, als die
Langeweile des Zuhörens. Der gute Ton verbietet es, Leute länger als
notwendig am Apparat zu halten. Man soll auch am Telefon die Zeit
des andern achten. Es ist bedauerlich, dass man nur bei
Ferngesprächen daran denkt und auch dann nur, wenn man sie selbst
angemeldet hat, das heisst, wenn sie auf eigene Kosten gehen.
Man sollte ein Telefongespräch während man Besuch hat, nur
ausdehnen, wenn es nicht anders geht. In diesem Fall sollen die
Umstehenden ihre Unterhaltung leise weiterführen, ohne ganz
aufzuhören zu sprechen. Sie werden dadurch den Eindruck vermeiden,
an dem Gespräch stark interessiert zu sein und kein Wort davon
verlieren zu wollen.
Sind Sie im Haus eines Bekannten um zu telefonieren, empfiehlt es
den Hausbewohnern der Takt, unter einem Vorwand das Zimmer zu
verlassen.
Nur in dringenden Fällen können Sie jemanden anrufen, der
irgendwo zu Gast ist. Wenn Sie den Hausherrn kennen, müssen Sie
sich bei ihm entschuldigen und ihn bitten, Herrn... an den Apparat zu
rufen.
POSTSCRIPTUM.
Wir können das Kapitel Briefwechsel nicht abschliessen, ohne ein
Wort über das Postscriptum — den Nachsatz — hinzuzufügen. Haben
Sie keine Angst es anzuwenden, und fangen Sie einen Brief nicht
wieder an, weil Sie etwas vergessen haben, was Sie gut in einem
Postscriptum hinzufügen können. Sie haben das Recht zu einem
Postscriptum, aber nicht zu fünf oder sechs. Ein Nachsatz genügt, mehr
als einer ist ein Zeichen eines zerstreuten Charakters. Man kann diese
Möglichkeit benutzen, um den Leser des Briefes amüsanter als mit
einer banalen Höflichkeitsformel zu verlassen. Das Postscriptum wird
die letzte Pointe enthalten, es erlaubt auch, die Aufmerksamkeit auf
eine Nachricht oder Frage zu lenken, die ziemlich wichtig ist, ohne
Hauptgegenstand des Briefes zu sein.
Wenn Sie einer Sache einer besondere Ueber-raschungswirkung
sichern wollen, machen Sie absichtlich einen Nachsatz, obwohl Sie
nichts vergessen haben, im Gegenteil. Das ist erlaubte Kriegslist.
Das Postscriptum steht in der linken unteren Ecke des Briefes,
P. S,
VIII.
DI E EINLADUNGEN
Die gesellschaftlichen Beziehungen in unserm nach gutem Essen
hungernden und nach Vergnügen durstenden Zeitalter beginnen erst,
wenn man seine Freunde bewirtet, oder von ihnen eingeladen wird.
Die richtige Freundschaft fängt erst mit dem Empfang zu Hause an.
Wir wollen aber zuerst eine gemeinsame Verabredung ausser Haus
beleuchten.
WIE LADET MAN EIN?
Früher lud man schriftlich ein, und eine mündliche Einladung
musste noch brieflich bestätigt werden. Wenn die Gäste zahlreich
waren, schickte man vielfach gedruckte Einladungen. Aber diese
gedruckten Einladungen wurden nur für die grossen Ereignisse im
Leben versandt. Wir werden später noch von ihnen sprechen. Zu
einem Ball musste die Einladung mindestens vierzehn Tage vorher
erfolgen, für ein Festmahl etwa acht Tage früher.
Heute spielen diese Fristen keine Rolle mehr. Man ladet nur selten
schriftlich ein, gewöhnlich wird alles Nähere bei einem Treffen
vereinbart. Man einigt sich darüber, was man
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