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Der Gute Ton 1950

Der Gute Ton 1950

Titel: Der Gute Ton 1950 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans H. Wiese
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Liebenswürdigkeit aufbringen
    will. Fehlen uns noch die nötigen Unterlagen um die gestellte Frage zu
    beantworten, sollten wir wenigstens den Empfang des Briefes
    bestätigen. Warum wollen wir bei einem Pessimisten unser
    Stillschweigen als Ablehnung deuten lassen, oder bei einem
    Optimisten falsche Hoffnungen erwecken? Es ist mutiger und auch
    höflicher, sofort »ja« oder »nein« zu schreiben. Eine Einladung
    beantwortet man umgehend, und nicht am Tage nach dem
    stattgefundenen Fest.
    TELEGRAMME.
    Sie haben einen sehr grossen Vorteil: ihre Abfassung erspart faulen
    Geistern die ermüdende Anstrengung, die ein Brief erfordert. Sie sind
    aber schrecklich unpersönlich. Sie sollen nicht zu kurz sein, und keinen
    »Telegrammstil« anzuwenden, da die Empfänger sie verstehen sollen,
    auch wenn sie nur mit durchschnittlichem Verstand begabt sind und
    nicht an Gedankenübertragung leiden.
    POSTKARTEN.
    Man schickt sie weniger seinen Freunden als seinen Feinden, damit
    sie vor Eifersucht platzen, wenn sie an die wunderbare Reise denken,
    die wir zur Zeit machen. Postkarten sind wahrscheinlich erfunden
    worden, um die Abfassung eines richtigen Briefes zu ersparen. Die
    Post, die nur ihr unmittelbares Interesse sieht, hat diese Brieffaulheit
    ermutigt, indem sie eine Preisermässigung im Porto vorgesehen hat,
    wenn der Text nicht länger als 5 Worte ist. Aber die guten Sitten tragen
    nun einmal dazu bei die Post zu bereichern, denn sie erklären, dass es
    sehr unhöflich sei, eine Postkarte ohne Umschlag zu schicken. Und mit
    Umschlag ist der Preis dem eines Briefes gleich!
    TELEFON.
    Ein noch wunderbareres Mittel als alle anderen um nicht schreiben
    zu müssen! Sie hängen den Hörer aus, drehen die Scheibe, und sind bei
    den Leuten, die Sie erreichen wollten. Sie gratulieren sich zu Ihrem
    Glück, dass die gewünschte Nummer nicht gerade besetzt ist, und sind
    bereit, allen Ernstes der Stimme zu glauben, die am anderen Ende des
    Drahtes Ihnen heuchlerisch sagt: »Oh, Sie stören mich gar nicht, ich
    habe eben an Sie gedacht.« An dem Tag, an dem ein kleines System
    erfunden wird, das uns das Gesicht des Angerufenen auf einer kleinen
    Leinwand neben unserem Apparat zeigt, werden wir endlich wissen,
    was man wirklich von uns denkt, und wir werden erfahren, wiewiel
    mühsam beherrschte Wut ein Blick ausdrücken kann. Wir werden
    dann nicht mehr in selbstzufriedenem Ton fortfahren: »Ich bin
    Frühaufsteher, deshalb rufe ich immer gern früh die Leute an, die ich
    unbedingt erreichen will. Und übrigens, ist 6 Uhr morgens wirklich
    sehr früh? Ich weiss es nicht genau, da ich daran gewöhnt bin«, oder
    »Ich konnte nicht einschlafen und habe mich daran erinnert, dass ich
    Sie unbedingt anrufen muss... Ah, es ist schon 2 Uhr nachts und Sie
    haben sicher schon geschlafen. Ich beneide Sie wirklich, ich Aermste
    kann immer so schlecht einschlafen. Sie sagen, dass sich der Apparat
    eine Etage tiefer befindet? Ah, deshalb habe ich so lange warten
    müssen, bis Sie ausgehängt haben. Sie sollten meinem Beispiel folgen,
    lassen Sie doch Ihr Telefon am Kopfende Ihres Bettes einrichten«. Was
    gibt es Schrecklicheres als dieses Läuten, das immer anhebt, wenn man
    im Bad, unter der Dusche oder beim Rasieren ist. Und die »wichtige«
    Verbindung, um 6 Uhr morgens, derentwegen Sie sich der Gefahr einer
    Lungenentzündung aussetzen, war nur wichtig für die Person, die Sie
    anrief. Benutzen wir doch das Telefon mit Bedacht. Es ist bestimmt
    eine wundervolle Einrichtung, um eine Auskunft am Bahnhof zu
    verlangen, eine Taxe zu bestellen, oder den Auftrag dem Lieferanten
    durchzusagen. Aber man soll seine Mitmenschen nicht damit zur
    Verzweiflung bringen. Benutzen wir es nur bei Bekannten, die wir
    genug kennen, um zu wissen, zu welcher Zeit wir sie am wenigsten
    stören. Nicht jedermann ist Frühaufsteher oder ein an Schlaflosigkeit
    Leidender, der glücklich ist, mitten in der Nacht eine freundliche
    Stimme zu hören. Man isst im allgemeinen auch gerne ohne
    unterbrochen zu werden. Es ist unhöflich, andere zu Zeiten anzurufen
    in denen jeder zivilisierte Mensch bei Tisch sitzt. Das Telefon soll man
    nur benutzen, wenn es eilt, und alle anderen Verbindungsmittel zu
    lange dauern.
    Müssen wir plötzlich jemanden besuchen, so schickt es sich, ihn
    telefonisch darauf vorzubereiten. Es ist besser ihn durch einen Anruf
    zu warnen, als gar nicht; niemand hat das Recht, Bekannte zu
    überfallen, wenn es sich nicht um eine dringende Sache

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