Der Gute Ton 1950
Proszeniums-Loge anbieten dürfen, von wo aus man
meist von der Bühne wenig sieht, dafür aber gesehen wird. Sie können
ruhig einen Platz wählen, dessen Preis Ihrer finanziellen Lage besser
entspricht. Es ist traurig, aber das beste Publikum trifft man nicht
immer auf den teuersten Plätzen. Man findet da nur das reichste
Publikum, und Reichtum ist nicht gleichbedeutend mit Verstand und
guten Manieren. Es ist schwer zu sagen, wer zuerst eine Platzreihe
betritt. Wir glauben, es empfiehlt sich, die Damen zuerst eintreten
zu lassen, auch wenn der Herr später an ihnen vorbei muss, um seinen
Platz zu erreichen. Die Damen verlassen auch als erste ihre Plätze, den
Saal während der Pause oder am Ende der Vorstellung. Wir stehen
immer auf, wenn jemand an uns vorbei zu seinem Platz geht. Es wäre
auch dann unhöflich, sitzen zu bleiben, wenn die Sitzreihen weit genug
auseinander sind. Die Pause ist nicht dazu da, dass man sich über
einen »unstillbaren Durst« beklagt. Der Gastgeber des Abends hätte
diese »Einladung« vielleich gerne vermieden. Man redet auch nicht
von seinem Hunger, wenn nach der Vorstellung kein Abendessen
vorgesehen ist. Es ist unnötig, alle Wünsche einem armen Kerl zu
gestehen, der zu einem Theaterbesuch einlud aber keine weiteren
Ausgaben vorsah.
Der Gastgeber ist für die Vorstellung, in die er seine Gäste führte,
nicht verantwortlich. Er ist weder der Theaterdirektor, noch der
Regisseur, noch der Autor. Es wird ihm aber dennoch keine Freude
bereiten, wenn Sie von der erschreckenden Mirtel-mässigkeit der
Aufführung, oder von einem primitiven Stück sprechen. Lassen wir
ihn als ersten die Vorstellung kritisieren; und wenn er enttäuscht ist,
seien wir nachsichtiger als er und behaupten, dass wir doch ein
Vergnügen daran gefunden haben, auch wenn es zum Sterben
langweilig war. Nichts zwingt einen Gast auf Fehler aufmerksam zu
machen, die der Gastgeber vielleicht begeht. Seien wir im Gegenteil
grosszügig und entzückt über alle Unannehmlichkeiten des Abends
oder wenigstens scheinen wir entzückt. Und wenn es nach der
Vorstellung in Strömen regnet und wir kein Taxi finden können, fassen
wir die Sache mit Humor auf, — wenn wir noch den nötigen Schwung
haben darüber zu lachen. Werfen wir nicht unserem unglücklichen
Gastgeber vor, dass er den Wetterbericht nicht hört, — der übrigens
ganz sicher strahlendes Wetter vorausgesagt hatte! Es ist auch nicht
der richtige Moment, um voll Neid und Bitterkeit von den Glücklichen
zu sprechen, die in einem Mercedes an uns vorbeibrausen!
IM RESTAURANT.
Für das Betreten eines Restaurants, gelten besondere Vorschriften,
wenn sich Damen unter den Gästen befinden. Damen betreten nicht als
erste das Lokal. Zuerst tritt immer der Gastgeber ein. Ihm folgen die
Damen in der Reihenfolge ihrer Bedeutung. Den Schluss bilden die
Herren. Diese Regel gilt nicht, wenn nur Herren beisammen sind.
Heben Sie eine Dame in ein Restaurant eingeladen, die glaubt, als erste
eintreten zu müssen, so wäre es ungalant von Ihnen, sie am Eingang
überholen zu wollen. Sie sollen sie nicht verletzen, indem Sie um jeden
Preis Ihre gründlichere Kenntnis der guten Manieren beweisen.
Sie müssen unbedingt einen Tisch für Ihre Gäste bestellt haben; wenn
nicht schon früher, dann wenigstens telefonisch fünf Minuten bevor Sie
das Lokal betreten, damit Sie wissen, ob Plätze frei sind. Lassen Sie
nicht Ihre Gäste von einem Tisch zum andern spazieren, damit sie
selbst feststellen können, wie gut besucht das Lokal ist, in das S>ie sie
führen wollten. Es ist unangenehm — auf die Suche nach einem
anderen Lokal gehen zu müssen, nachdem man freudig und
erwartungsvoll die angenehmen Düfte jener köstlichen Gerichte
eingeatmet hat, die man nun nicht kosten soll. Ihre Gäste werden sich
immer geschmeichelt fühlen, wenn sie von einem zuvorkommenden,
vorher unterrichteten Empfangschef oder Ober begrüsst werden.
Vergessen wir nicht, dass auch ein Essen mit Geschäftspartnern eine
Entspannung sein soll. Ob Sie die Dame Ihrer Träume oder einen
Petroleumkönig entzücken wollen, die Regeln des Charmes und
Erfolgs sind ungefähr die gleichen.
DER RAHMEN.
Jedermann schätzt ein Essen, das sich in einem ruhigen, ja
beruhigenden Rahmen abspielt. Wählen Sie ein Restaurant, das weder
zu übervölkert, noch zu mondän ist, und legen Sie mindestens
ebensoviel Wert auf die Bedienung wie auf die gute Küche. Verzichten
Sie
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