Der Gute Ton 1950
weil
wir uns verbrannt haben; die Suppe kühlt bei einem vollen Teller zu
langsam ab.
Man führt den Löffel schräg von rechts nach links in den Mund, aber
er darf nicht vollständig darin verschwinden. Die Manier des
Suppeessens schreibt es vor, Unterarm und Ellbogen etwas zu heben.
Dabei soll man jedoch seinen Nachbarn nicht mit dem Ellenbogen
stossen.
Wir haben schon über die unnötigen Geräusche gesprochen. Man
darf beim Essen keinen Lärm machen, eine Tischrunde gut erzogener
Menschen ist kein Jazz-Orchester.
Wenn es sich bei der Suppe um Kraftbrühe handelt, kann sie auch in
einer Tasse serviert werden. Dann schickt es sich, sie entweder mit dem
Löffel zu essen oder schluckweise aus der Tasse zu trinken. Eine Suppe
wird nicht nachgereicht, denn die Gäste sollen nicht schon zu Beginn
des Mahles zu viel Flüssigkeit zu sich nehmen. Sonst bleibt kein
Appetit mehr für die Hauptgerichte übrig. Es ist kein Beweis guter
Erziehung, wenn man sagt, die Suppe sei köstlich und einen zweiten
Teller zu verlangen. Eine Dame drückt auch nicht allzu begeistert ihr
Lob aus — und verlangt nicht sofort das Rezept dieser zauberhaften
Suppe. Wenn es sich um ein ehrliches Lob und keine faustdicke
Schmeichelei handelt, wird sich bestimmt eine andere Gelegenheit
bieten, das »Geheimnis« dieser Suppe von der Dame des Hauses zu
erbitten. Man tut dies aber nicht bei Tisch und nicht am gleichen Tag.
Eine gelegentliche Frage beweist der Hausfrau, dass ihre Küche Beifall
fand. Man drückt auch seine Begeisterung nicht durch zu eifriges Essen
aus, auch neigt man den Teller weder nach vorne noch nach hinten aus
Angst, ein Tropfen dieses Nektars könnte einem entgehen.
Wenn der Teller leer ist, legt man den Löffel auf den Teller, wenn
aber die Brühe in einer Tasse gereicht wurde, legt man den Löffel
neben die Tasse, das Gewicht des Löffels könnte allzu leicht die
Porzellantasse umwerfen.
DER FISCH.
Beim Vorlegen — und dies gilt sowohl für den Fisch wie für alle
anderen Platten — zögern Sie nicht stundenlang, ehe Sie sich für ein
bestimmtes Stück entscheiden. Man wird natürlich weder das beste
noch das grösste Stück wählen, aber es wäre ebenso lächerlich,
ausgerechnet das kleinste und minderwertigste auszusuchen. Warum
wollen wir den Eindruck erwecken, dass uns an einem Fisch gerade die
Gräten schmecken? Die Gastgeber sollen keinen Fisch wählen, von
dem die Gäste bei Tisch sagen müssen, sie verstünden nicht, wie der
Fisch mit so viel Gräten im Bauch leben konnte. Fisch wird mit dem
Fischbesteck gegessen, hierbei ist das übliche Messer durch eine kleine,
stumpfe Schaufel ersetzt. Wenn Sie neben Ihrem Teller kein
Fischbesteck finden, sondern statt dessen Messer und Gabel, so
bedeutet dies, dass Sie bei Leuten zu Gast sind, die die Regeln des
guten Tons nicht kennen. Sie werden sich in diesem Fall den Anschein
geben, als seien Sie genau so schlecht unterrichtet und essen den Fisch
mit dem Messer. Es wäre viel unhöflicher von Ihnen, die Gastgeber zu
belehren, wie man Fisch isst, und es wäre ebenso taktlos, laut eine
zweite Gabel zu verlangen. Sie können den Fisch auch
folgendermassen essen: Sie nehmen Ihre Gabel in die rechte Hand (dies
ist das einzige Mal, dass Sie es tun dürfen) und helfen mit einem
Stückchen Brot in der linken Hand nach. Es ist besser, Sie schlucken
eine Gräte hinunter, als dass Sie sich über Ihren Teller beugen und
nach irgendwelchen Gräten suchen. Die Gräte nehmen Sie mit Daumen
und Zeigefinger aus dem Mund und legen Sie auf den Rand des
Tellers.
DIE VORGERICHTE
verlangen keine besonderen Hinweise. Natürlich soll man die Knochen
nicht in den Mund nehmen und sorgfältig abnagen aus Angst, es
könnte ein Gramm Fleisch verloren gehen. Die Sauce kann himmlisch
sein, aber Sie müssen doch der Versuchung widerstehen, sie mit Brot
aufzutunken. Das kann man sich nur bei intimen Freunden oder im
Familienkreis erlauben. In diesen Fällen sticht man mit der Gabel in ein
Bröckchen Brot und saugt damit die Sauce auf. Finger dürfen die Gabel
nicht ersetzen.
DER BRATEN.
Auch hier ist nichts besonderes zu sagen. Nur sollten wir nicht
versuchen unsere Ahnen, die in Höhlen lebten, nachzuahmen und das
gebratene und zerlegte Tier wild mit den Händen anzupacken. Man
kann alles mit Messer und Gabel zerschneiden und essen, auch wenn
das Fleisch weniger zart ist, als es sein sollte. Ein Pariser Kabarettist hat
in einer Revue
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