Der Gute Ton 1950
einmal einem jungen Mädchen Ratschläge gegeben, wie
sie ihre Manieren bei Tisch verbessern kann. Er hat sie zum Beispiel
folgendermassen die Kunst gelehrt, zähes Fleisch zu schneiden: Das
junge Mädchen musste unter jedem Arm ein flaches Buch halten, das
sie zwang, die Arme fest an den Körper zu pressen. Vor ihr stand ein
Teller — nein nicht mit einem Stück Fleisch — sondern mit einer alten
Puderquaste. Nun musste die Schülerin diese Puderquaste mit
Messer und Gabel zerteilen, ohne dass dabei die Bücher
herunterfielen.
Diese kleine Geschichte soll uns daran erinnern, dass wir unsere
Nachbarn nicht zum Zeugen unserer Anstrengungen durch
Ellbogenstösse machen dürfen, auch wenn das Schicksal uns ein Stück
Leder als Beefsteak zugeteilt hat. Nur Juden dürfen das Fleisch vor
dem Essen ganz aufschneiden, sonst wird es stückweise, je nach
Bedarf, geschnitten. Man sagt von Menschen, die das Fleisch sofort in
Bissen zerschneiden, dass sie eine Auferstehung des Tieres fürchten.
Sie erinnern an kleine Kinder und an jene Erwachsenen, die ihre
Serviette um den Hals binden.
GEMÜSE
wird nur mit der Gabel gegessen, das Messer ist dabei genau so
verboten wie bei Fisch. Das gleiche gilt auch für den Salat, der immer
auf einem kleinen Teller serviert wird. Die Blätter des Salats sollen
nicht zu gross sein, da ja die Gäste keine Messer verwenden dürfen. Er
soll auch nicht in Essig schwimmen, man müsste in einem solchen Fall
die Gäste bedauern.
KARTOFFEL.
Für Kartoffel gilt das gleiche wie für Gemüse. Sie dürfen nicht mit
dem Messer in Berührung kommen, man zerteilt sie mit der Gabel.
Diese Sitte ist im Ausland nicht verbreitet, so dass wir bei einem
ausländischen Gast bemerken können, dass er seelenruhig seine
Kartoffel mit dem Messer zerschneidet. Bei uns ist dies nach wie vor
gegen die Regeln des guten Tons.
Grundsätzlich gilt, dass man weiche Gegenstände (auch
Pfannkuchen) nur mit der Gabel zerteilen darf.
SCHALENTIERE. — AUSTERN.
Für die kleinen Schalentiere, wie Austern zum Beispiel, hat man eine
besondere Gabel, um das Tier aus der Schale herauszulösen. Wenn das
Tier losgelöst ist, führt man nicht die Schale zum Mund und schlürft
das Ganze mit einem Wogenbrausen, das an einen stürmischen Ozean
erinnert. Die Schale bleibt auf dem Teller, indes man mit der Gabel die
Auster zum Munde führt.
KRABBEN
isst man mit den Fingern, man darf sie aussaugen; häufig reicht man
sie zu Butterbrot.
LANGUSTEN UND HUMMER
kommen heute geteilt und mit geöffneten Scheren auf den Tisch, damit
man das Fleisch bei Tisch leicht herauslösen kann. Man isst beide
Fischarten mit einem Fischbesteck. Das beste Fleisch enthalten die
Scheren. Man darf sie in die Hand nehmen, bricht die Gelenke durch
und zieht mit einer besonders spitzen, langen Gabel das Fleisch heraus.
Man kann auch das Fleisch aus den Scheren aussaugen, doch ist es
eleganter, es mit der Gabel herauszulösen.
SCHNECKEN
Sie werden in den Schalen auf einer Platte gereicht. Man greift die
Schnecke mit der Zange in der linken Hand, zieht mit der Gabel — in
der rechten Hand — das Tier aus seiner Schale, legt es in den Löffel,
schüttet die Sauce darüber und führt den Löffel zum Munde.
SPAGHETTI
sind köstlich und jeder isst sie gern. Sie können sie anbieten, wenn Sie
nicht zu fürchten brauchen, dass Ihre Gäste mit diesen endlosen Fäden
nicht fertig werden. Man muss nicht gerade in Italien gelebt haben, um
zu wissen, dass man Spaghetti nicht schneidet. Man sticht mit der
Gabel hinein und dreht sie mehrmals um einen Löffel herum, den man
in der rechten Hand hält. Dann zieht man die Gabel heraus, so dass die
gerollten Spaghetti in dem Löffel bleiben. Diesen Löffel führt man dann
zum Mund. Dies ist die Art, in der Ungeübte Spaghetti essen. Es gibt
natürlich sportlichere Arten des Spaghettiessens, aber sie sind mehr für
die »Eingeborenen« bestimmt, und wir wollen sie hier deshalb nicht
erwähnen.
SPARGEL UND ARTISCHOCKEN
sind Gemüsearten, die man nicht servieren soll, um seine Gäste nicht in
Verlegenheit zu bringen.
Man isst Spargel möglichst nicht mit den Fingern, sondern legt ihn
auf den Teller mit Hilfe des Bestecks, das auf der Platte liegt. Dann
trennt man mit der Gabel die Spargelspitze; nur wenn die Gabel es
allein nicht schafft, nimmt man das Messer zu Hilfe, denn wir wissen
ja, dass Gemüse ohne Messer gegessen werden soll.
Für die Artischocken hat man
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