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Der Gute Ton 1950

Der Gute Ton 1950

Titel: Der Gute Ton 1950 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans H. Wiese
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die
    Dame an den Tisch kommen kann. Sobald sich die Dame des
    Ehrenplatzes gesetzt hat, nimmt sie Platz. Der Herr schiebt ihren Stuhl
    etwas vor, ohne sie jedoch dabei zwischen Tisch und Stuhl zu
    zerquetschen. Dann erst nimmt er selbst Platz. Jeder Gast soll darauf
    achten, dass sein Stuhl richtig steht nicht zu nah aber auch nicht zu
    weit vom Tisch! Aber man soll auch nicht einen Pianisten nachahmen,
    der, bevor er anfängt zu spielen, fünf Minuten lang die Höhe oder die
    Stellung des Stuhles verändert. Man legt seine Ellbogen nicht auf den
    Tisch, das ist erst nach Beendigung des Essens erlaubt, das heisst, wenn
    das Rauchen erlaubt ist. Eine Dame darf die Hände bis zum Gelenk auf
    den Tisch legen, ein Herr darf sich etwas weiter »vor-
    wagen«. Man soll bei Tisch seine Reden nicht mit lebhaften Gesten
    begleiten, die den Nachbarn stören und Gläser ins Wanken bringen.
    DIE SERVIETTE.
    In den Falten der Serviette liegt ein Stück Brot, deshalb ist es besser,
    sie nicht allzu schnell auseinanderzufalten. Man soll nicht so zufassen,
    als wollte man auf dem Schlachtfeld eine Fahne zurückerobern.
    Dadurch kann das Brot in hohem Bogen hinausfliegen. Man legt die
    Serviette auf den Schoss. Pessimisten und unsichere Menschen binden
    sie um den Hals gerade als wollten sie ausdrücken, dass sie jetzt
    vorbereitet sind, allen Stürmen zu widerstehen, und vor keinem
    Wagnis zurückzuschrecken! Dann sollen die anderen ruhig ihren
    Schirm aufspannen! Diese umgebundenen Servietten sehen so nach
    Kinderzimmer aus. Schade, dass man diesen Männern nicht einen
    Lutscher oder eine Kinderflasche geben kann, denn Frauen begehen
    niemals solche Fehler. Andere Gäste stecken die Ecke ihrer Serviette in
    das Knopfloch ihrer Jacke. Sie benehmen sich nicht wesentlich besser.
    Auch ist es falsch, seine Serviette vollkommen zu entfalten: man legt
    sie in drei Teile gefaltet der Länge nach auf den Schoss. Die Serviette
    spielt keine schützende Rolle, die spielt sie nur bei kleinen Kindern.
    Für Erwachsene ist sie weder eine Schürze noch ein Lätzchen. Wer
    richtig essen kann, braucht für seine Kleider nichts zu fürchten. Die
    Serviette ist nur da, um den Mund abzuputzen, sie ist keine Zierde des
    Tisches, sie darf ruhig benutzt werden. Die Damen sollten vermeiden,
    allzu viel Spuren von Lippenstift auf der Serviette zu hinterlassen, es
    empfiehlt sich möglichst einen nicht abfärbenden (kussechten)
    Lippenstift zu benutzen, nicht einer jener Sorte, von denen Sacha
    Guitry behauptet, dass sie so schlecht auf den Lippen haften und so gut
    anderswo. Nach dem Essen wird die Serviette nicht gefaltet, sondern
    (nicht zu nachlässig!) auf den Tisch neben den Teller gelegt. Wenn Sie
    ständiger Gast in einem Hause sind, falten Sie Ihre Serviette
    zusammen, man wird Ihnen vielleicht auch eine Tasche geben.
    Wir wollen noch hinzufügen, dass man die Serviette jedesmal vor
    dem Trinken benutzt, um sich die Lippen abzuwischen. Wir vermeiden
    dadurch die hässlichen Fettränder auf unserem Glas.
    Es empfiehlt sich, den Teller nicht mit der Serviette vor dem Essen
    abzuputzen. Viele glauben, dass sie dadurch ihre grosse
    Sauberkeitsliebe ausdrücken; einige Minuten später führen sie die
    gleiche Serviette, die sie mit einem Abwischtuch verwechselten, zum
    Mund — und das nennen sie Sauberkeit. Eine seltsame Art von
    Höflichkeit dem Gastgeber gegenüber. Wie wagen es diese Menschen,
    sich an einen Tisch zu setzen, dessen Sauberkeit ihnen zweifelhaft
    scheint? Wenn sie schon die Teller putzen, wie können sie etwas essen,
    ohne es vorher untersucht zu haben! Wenn diese Angewohnheit eine
    Art Steckenpferd ist, sollte man sich vor fremden Leuten unbedingt
    beherrschen.
    DIE SUPPE.
    Wohl findet man ein Stück Brot in den Falten der Serviette vor, aber
    man isst es nicht zur Suppe. Ueber den Geschmack lässt sich nicht
    streiten, aber nur das Sichgehenlassen erlaubt uns, Brot zur Suppe zu
    essen, eine Sitte, die sich während der Hungerszeit eingebürgert hat.
    Auch Aerzte werden in diesem Falle mit der Höflichkeit einig gehen,
    denn die Mischung von Brot und Suppe ist besonders schwer
    verdaulich. Man soll den Löffel auch nicht zu voll nehmen, es ist sonst
    zu befürchten, dass man die Hälfte auf den Tisch oder auf die eigene
    Kleidung schüttet. Man taucht den Löffel nicht zu tief in den Teller, der
    übrigens immer nur zu drei Viertel gefüllt ist. Diese Vorsicht
    verhindert, dass wir mit einem Aufschrei den Löffel fallen lassen,

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