Der Gute Ton 1950
wird uns bitten, den letzten
Satz zu wiederholen, da er ihn nicht gut verstanden habe, oder er wird
auf unsere unverständliche Frage mit einem ausweichenden Lächeln
antworten. Er wird sich möglichst schnell verabschieden oder unseren
weiteren Aeusserungen keine grosse Aufmerksamkeit mehr schenken,
auch wenn sie wichtig sind. Die Unterhaltung mit uns ist ihm zu
schwierig geworden.
Man braucht nicht einer Schauspielerfamilie anzugehören, um
deutlich auszusprechen. Wenn Sie ein musikalisches Ohr haben,
genügt es, dass Sie die Schauspieler auf der Bühne oder den Sprecher
am Mikrophon nachahmen, wenn Sie sicher sind, dass deren
Aussprache beispielhaft ist. Wählen Sie aber nicht gerade als Vorbild
den Ansager, der in den Dialektsendungen für seine gute
»einheimische« Aussprache berühmt ist. Wenn Ihnen eine klare
Aussprache schwer fällt, werden ein paar Stunden der Uebung die
Fehler verbessern. Gelingt Ihnen dies nicht, so rührt es von Ihren
Hemmungen her und Ihr Fall würde einen Psychiater interessieren.
Auch dann ist nicht jede Hoffnung umsonst. Sie behaupten, imstande
zu sein, Sie von Ihrem Minderwertigkeitskomplex zu befreien, der die
Ursache Ihrer stotternden, zögernden oder unklaren Aussprache ist. Sie
müssen alles versuchen, um Ihren Mitmenschen die Qual zu ersparen,
Ihnen zuzuhören, wenn Sie ebenso schlecht sprechen, wie die Aerzte
ihre Rezepte schreiben.
DIE SPRACHE.
Ein gute Aussprache bleibt ohne Wirkung — obwohl akustisch
besser verständlich — wenn wir nicht die Sprache sprechen, in der
Goethe schrieb, sondern ein volkstümliches Platt reden, das wir mit ein
paar hochdeutschen Redensarten und einigen den Berlinern und
Wienern entlehnten Wendungen ausschmücken. Wir glauben ein
Originalwerk geschaffen zu haben, während unsere Sprache — wenn
eine solche Mischung diese edle Bezeichnung überhaupt verdient —
eher dem amerikanischen Slang ähnlich wird: sie erhält immer neue
Schlagworte, und selbst Eingeweihte sind nicht immer sicher, sie zu
verstehen. Trotzdem gibt es Menschen, die jene armen Sterblichen
mitleidsvoll betrachten, die sich nur mit grossen Schwierigkeiten in
diesem abwechslungsreichen Platt zurechtfinden. Und natürlich
bereichern sie ihren Wortschatz durch einige Fremdworte, die sie ganz
auf ihre persönliche Art aussprechen. Aber sie stehen auf dem
Standpunkt, dass der Gesprächspartner sich nur ein wenig Mühe
geben soll, denn er hat ja das Glück, ihnen zuhören zu dürfen. Wem es
gelingt, einer solchen Unterhaltung zu folgen, für den wird der
schwierigste Kriminalfall künftig nur ein Kinderspiel sein.
Wollen wir diese sprachlichen Dummheiten vermeiden. Statt zu
bluffen — was vermutlich der tiefere Sinn dieser Kapriolen ist —
wirken sie nur ermüdend. Ein reines Platt ist verzeihlich, wenn der
Sprecher kein Hochdeutsch kann. Man sollte aber niemals dem Dialekt
den Vorzug geben. Wir dürfen nicht aus Trägheit oder Snobismus auf
eine Ausdrucksform verzichten, die geistig schaffenden Menschen
unentbehrlich ist, ebenso wie der Gebrauch von Fremdworten
vermieden werden sollte, wenn ein entsprechender Ausdruck in der
eigenen Sprache vorhanden ist. Wenn es trotzdem notwendig
erscheint, ein Fremdwort zu Hilfe zu nehmen, soll man es so
aussprechen, wie es im eigenen Land üblich ist — selbst wenn diese
Aussprache ihrem Ursprünge nach nicht ganz richtig sein sollte. Es ist
eine Höflichkeitspflicht, ein Fremdwort sogleich zu übersetzen oder zu
umschreiben, wenn man in einer Unterhaltung sieht, dass jemand es
nicht gut begriffen hat. Unsere Sprache soll dem Milieu entsprechen, in
dem wir uns bewegen. Es wäre taktlos, in jeden Satz ein oder zwei
schwierige oder zu anspruchsvolle Wörter einzuflechten, die unsere
Zuhörer nicht verstehen. Unsere Sprache soll kein Rätsel sein, sie soll
klar und jedem verständlich sein. Gerade in der Einfachheit zeigt sich
der Meister.
DIE WAHL DER WORTE.
In dem entzückenden und geistreichen Schauspiel »Pygmalion«, das
Bernard Shaw der Sprachforschung zu Ehren schrieb, wettet ein
Philologie-Professor, dass es ihm bestimmt gelingen würde, eine kleine
Blumenverkäuferin aus dem schäbigsten Elendsviertel Londons,
die mit zwanzig Jahren das erste Bad in ihrem Leben nimmt, als ein
Mädchen der besten Gesellschaft auszugeben. Und wirklich, dieser
bewundernswerte Praktiker der Sprache, der nur flüchtig zu hören
braucht, wie jemand zum Beispiel einen Wagen bestellt, um
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