Der Gute Ton 1950
zu sagen,
in welchem Teil Englands der Betreffende aufwuchs, lehrt seine
Schülerin eine Aussprache, die der Königin von England würdig wäre.
Man bereitet für die begabte Schülerin, gleichsam als Probe, einen
ersten, nicht offiziellen Besuch in der Gesellschaft vor, um
festzustellen, ob die Wandlung vollendet ist. Und es kommt zu einer
peinlichen Szene: die frühere Blumenverkäuferin mit der tadellosen
Aussprache kann nur die simplen Worte wiederholen, die sie ihr
ganzes Leben in ihrem Elendsviertel gehört hat. Der Professor sieht ein,
dass erst die Hälfte seiner Arbeit getan ist. Sein Versuchsobjekt kann
perfekt aussprechen, aber es kann nicht sprechen.
Diese Szene, die die ganze Welt belustigte, hat nicht Schule gemacht.
Wenn der Dialekt auch verschwindet, so unterliegen viele der
Versuchung, Jargonausdrücke zu übernehmen. Sie sind vermutlich der
Meinung, dass die Unterhaltung dadurch ein moderneres und
malerischeres Gepräge erhält. Einige wenige moderne Schlagworte
werden zur Erläuterung der verschiedensten Vorgänge oder Begriffe
von Menschen angewandt, deren Wortschatz nicht grösser ist als der
eines Kindes — aber es sind leider nicht mehr die gleichen Worte!
UNACHTSAMKEIT DER GRAMMATIK UND DER SATZLEHRE
GEGENÜBER.
Grammatik und Satzlehre sind zwei achtunggebietende Damen, die
wir respektieren müssen. Sie haben übrigens einen viel heiteren und
einfacheren Charakter als dies meist böswillig behauptet wird. Es ist
jedoch ebenso leicht, sich von den Fehlern in der Grammatik und der
Satzlehre zu befreien, wie von einer schlechten Aussprache. Genau so,
wie es keine Anstrengung kostet »ja« anstatt »jo« zu sagen, verursacht
eine richtige Sprache keine Uebermüdung. Warum wollen wir das Ohr
unserer Mitmenschen beleidigen, indem wir die einfachsten und
grundlegendsten Regeln unserer Grammatik vergewaltigen? Es gibt
heute bereits viele Menschen, die ein sauberes; Deutsch gleichsam als
eine tote Sprache empfinden.
Wir müssen um Entschuldigung bitten, wenn wir unsere Leser auf
Fehler aufmerksam machen, die ihnen vielleicht unwahrscheinlich
vorkommen. Sie werden vermutlich nichts dabei lernen, aber sie
müssen achtgeben, dass sie diese sprachlichen Nachlässigkeiten nicht
wiederholen.
Hüten Sie sich vor Ausdrücken, die in bestimmten Gegenden
gebräuchlich geworden sind:
Ich hole das Buch aus meinem Zimmer (ich gehe also irgendwohin);
aber ich nehme mir noch ein Stück Kuchen (ich sitze irgendwo und
greife zu);
Ich habe meine Schwester am Bahnhof abgeholt, aber ich habe an
Gewicht abgenommen.
komm bei mich — oder: komm bei uns — anstatt: Komm zu mir,
komm zu uns;
Die Frau, die wo ich kenne — anstatt: die Frau, die ich kenne.
Es gibt Fehler, die durch den Einfluss einer Sprache aus dem
Nachbarland entstanden, wie zum Beispiel:
Der Butter — statt: die Butter; Ich habe kalt — statt des sprachlich
richtigen: »mir ist kalt«.
Häufig wird der Dativ mit dem Akkusativ verwechselt, z. B.:
Ich habe dir gesehen — es kommt mich komisch vor,
statt: Ich habe dich gesehen — es kommt mir komisch vor;
Bei Bildung des Komperativs (Steigerung) wollen wir nicht vergessen,
dass es heisst: Grösser a I s (und nicht: grösser wie) — wohl aber:
ebenso gross wie jener Baum.
Die Mehrzahlbildung von Fremdworten bereitet zuweilen auch
Schwierigkeiten; man spricht richtig von: Themen und Risiken, Daten
und Atlanten — man hängt also nicht einfach ein s an: z. B.: Datums,
Risikos usw.
Der Unterschied zwischen »anscheinend« und »scheinbar« liegt
darin, dass scheinbar: »sich stellen als ob«, (nur einen scheinbaren
Vorgang) aussagt, indes anscheinend: eine berechtigte Vermutung
ausdrückt, z. B.: Er ist scheinbar krank (er stellt sich nur so, als sei er
krank); er ist anscheinend krank (er ist vermutlich krank).
Auch die so harmlosen Wörtchen »her« und »hin« — »herein« und
»hinein« haben ihre Klippen: her — wird gebraucht, um die Richtung
anzugeben, von w o jemand (oder etwas) kommt; hin — wird
gebraucht, um die Richtung anzugeben, wohin jemand (oder etwas)
geht, die Bewegung z u einem bestimmten Punkt, und die Bewegung
von einem bestimmten Punkt fort.
Vielfach werden auch die Zeiten falsch angewandt; es heisst:
Er wird morgen kommen — und nicht: er kommt morgen, denn das
Morgen liegt noch in der Zukunft.
Andererseits wird häufig das Futurum gebraucht, wenn der
Konjunktiv am Platze wäre:
Möge er glücklich
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