Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)
soleill
Amezarak volvet la sa cue a le bastun de Jacobus
Uberto hörte mit wachsender Neugier zu. Diese Sätze klangen beinahe französisch.
»Das ist Provenzalisch, die Sprache der Troubadours«, klärte ihn der Händler auf.
Willalme, der sich damit bestens auskannte, übersetzte das Gehörte:
Armaros ruht unter den Augen von Aturnin
Temel ist unter dem Schatten eines Rosenhains
Kobabel spielt Schach, wo die Sonne niemals scheint
Amezarak windet seinen Schwanz um den Stab des heiligen Jakobus
»Das ist ja ein Rätsel!«, rief Uberto belustigt aus. »Wenn ich mich nicht irre, ist Aturnin einer der Namen für den heiligen Saturninus.«
Ignazio nickte und nahm einen Schluck von seinem Honigwein.
»Aber ich weiß nicht, wer Armaros, Temel, Kobabel und Amezarak sind«, fuhr der Junge fort.
»Das sind die Namen von Engeln«, antwortete Ignazio.
»Engel …«, wiederholte Uberto. »Also darauf bezogst du dich, als du von den himmlischen Wesen der Mager sprachst?«
Ignazio antwortete nicht, sondern fuhr in seiner Erklärung fort: »Diese Namen erscheinen im Buch Henoch und bezeichnen einige der abtrünnigen Engel, die mit Luzifer auf die Erde hinabgestiegen sind.«
»Das sind Dämonen.« Ubertos Gesicht verfinsterte sich. »Also danach suchst du, nach einem Buch, in dem es um Dämonen und Teufel geht!«
Ignazio wollte ihn beruhigen, doch der Junge sprang auf. Sein Gesicht war gerötet. »Bei einer solchen Suche will ich nicht helfen!«
»Du verstehst nicht.« Ignazio packte ihn am Handgelenk und zwang ihn mit sanfter Gewalt, sich wieder zu setzen. Mehr als seine Worte war es diese Berührung, die Uberto beruhigte. »Es ist nicht wichtig, wer diese vier Engel sind, sondern wofür sie stehen.«
Da bemerkte Uberto, dass er sich wie ein verängstigtes Kind benommen hatte, und schämte sich dafür. »Du meinst, es handelt sich um Symbole?«
»Nein, um viel mehr.« Die begeistert leuchtenden Augen des Händlers fesselten die Blicke seiner Gefährten. »Laut Henoch vermittelten die gefallenen Engeln den Menschen die Grundlagen der Magie. Armaros lehrte sie die Zauberkunst, Temel die Astrologie, Kobabel die Sterne zu lesen und Amezarak die wundertätigen Fähigkeiten der Wurzeln zu nutzen.«
Willalme wurde nachdenklich. »Nun müssen wir nur noch begreifen, welche Verbindung zwischen diesen Engeln und dem ›Uter Ventorum‹ besteht.«
»Wir haben diese Engel doch schon gesehen«, sagte Ignazio. »Im Kloster San Michele della Chiusa auf Viviëns Grabkreuz, erinnert ihr euch? Sie waren zu viert wie die Winde aus allen vier Himmelsrichtungen und bliesen in den Schlauch.«
»Ja, der Schlauch in der Mitte der eingeritzten Zeichnung …«
Ubertos Augen blitzten auf. »Das ›Uter Ventorum‹, der Schlauch der Winde!«
Ignazio nickte. »Vermutlich trägt das Buch den Namen, weil es den Atem der vier Engel enthält, und dieser Atem ist nichts anderes als ihr Wissen.«
»Vier Winde«, fuhr Uberto fort, »oder vier hermetische Wissenschaften.«
»Aber auch vier Teile des Buches«, ergänzte Ignazio. »Vier Kapitel, vier Abhandlungen.«
»Warum sollte er das in einem Rätsel erklären?«, fragte Willalme. »Was nützt es uns, wenn wir wissen, dass es vier Kapitel sind?«
Ignazio dachte über die Worte des Franzosen nach und betrachtete das Rätsel weiter aufmerksam. »Das stimmt«, gab er schließlich zu. »Es ergibt keinen Sinn, ein so ausgeklügeltes Kryptogramm zu erstellen und damit nur den Aufbau des Buches zu beschreiben. Der Text hier muss noch ganz anderes bezeichnen, und ich glaube, dass er uns verrät, wo das ›Uter Ventorum‹ verborgen ist …« Er zögerte einen Moment, dann verzog sich sein Gesicht zu einem schlauen Grinsen. »Ich glaube, man kann mit Fug und Recht annehmen, dass Viviën sich diesen Dreh ausgedacht hat, um damit zu sagen, dass er das Buch in vier Teile getrennt hat, die er an unterschiedlichen Orten versteckte.«
»An welchen Orten?«, fragte Uberto.
Ignazio zuckte mit den Schultern, als wäre das ganz offensichtlich. »Der erste Teil liegt in Toulouse.«
»Bist du dir sicher?«
»Du hast es doch gerade selbst gesagt: der heilige Saturninus oder besser Saint Sernin. Das ist der Schutzpatron von Toulouse.«
»Du hast recht!«, rief der Junge aus. »Wenn also Viviën geschrieben hat: ›Amaros schläft unter den Augen des heiligen Saturninus‹, meint er damit, dass der erste Teil des Buches, in dem es um die Zauberkunst geht, in der Basilika Saint-Sernin in Toulouse
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