Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)
ihn für einen Wandermönch, doch als er an ihm heruntersah, entdeckte er Lederschuhe mit langen Sporen unter dem Umhang und änderte seine Meinung. Der Mann war bestimmt weder ein Geistlicher noch ein mittelloser Wanderer.
»Ich suche drei Pilger, die vor Kurzem hier angekommen sind. Einige Mönche sagen, sie hätten heute am späten Vormittag mit Euch geredet.«
»Das stimmt, aber sie sind bereits wieder abgereist. Ihr kommt zu spät.«
Bei diesen Worten verschränkte der Fremde die Arme vor der Brust, wie um ein Aufwallen von Zorn zu unterdrücken. »Eigentlich suche ich nicht sie, sondern einen Mönch. Viviën de Narbonne.«
»Schon wieder diese Geschichte!«, schnaubte Geraldo, doch er versuchte sofort, sich zu beruhigen. Im Gegensatz zu den vorigen Besuchern wirkte dieser Fremde nicht gerade vertrauenerweckend. Vielleicht lag es an seinem slawischen Akzent, seinem unterdrückt herrischen Auftreten oder an seiner beeindruckenden Statur, jedenfalls war Geraldo beunruhigt. »Wie ich den Männern vor Euch bereits erklärt habe, ist Viviën de Narbonne schon lange Jahre tot«, erwiderte er und verschränkte die Finger unter seinem weißen Bart.
Der Mann schwieg kurze Zeit, während Geraldo den Eindruck hatte, als bebe sein schwarzer Umhang. »Haben sie etwas mitgenommen?«, fragte er schließlich. Seine Stimme klang jetzt anders, bohrend und grob.
»Nein«, sagte Geraldo und wich zurück. »Sie haben nur sein Grab besucht. Sonst nichts.«
»Bringt mich dorthin«, befahl ihm der Fremde.
Geraldo nickte, senkte ergeben den Kopf und brachte den Mann zu Viviën de Narbonnes Grab.
Während er über den Friedhof lief, sah sich Slawnik um, und die Wut nagte an ihm. Viviën Narbonne tot! Gab sich etwa jemand für ihn aus, oder hatte Conte Scalò ihn vielleicht belogen? Die Geschichte wurde immer undurchsichtiger. Wahrscheinlich war das Buch im Grab verborgen gewesen, sagte er sich. Bestimmt hatte Ignazio da Toledo es bereits gefunden, da er San Michele della Chiusa so eilig wieder verlassen hatte. Er war zu spät gekommen! Doch auf jeden Fall musste er nachsehen. Außerdem, dieser Geraldo da Pinerolo verheimlichte ihm etwas. Vielleicht war er mit dem Händler im Bund.
»Das da ist Viviëns Grab«, sagte der Mönch irgendwann.
Der Böhme sah in die angezeigte Richtung. Dort gab es weder aufgewühlte Erde noch ein sonstiges Anzeichen, dass jemand das Grab geöffnet hatte. Nur ein einfaches Holzkreuz. Plötzlich überfiel ihn das Gefühl von Aussichtslosigkeit. Jemand schien sich einen Spaß mit ihm erlaubt zu haben, sein Auftrag drohte zu misslingen. Das würde ihm Dominus nie verzeihen!
In einem Anfall von Jähzorn packte Slawnik den Mönch am Bart und sah ihn mit seinen eiskalten Augen an. »Du lügst!«, zischte er ihm drohend ins Gesicht. »Was hat dir der Händler aus Toledo erzählt? Sag mir, was du vor mir verbirgst, sonst bringe ich dich um!«
Verängstigt hob Geraldo die zitternden Hände und flehte um Gnade. »Im Namen von Jesus Christus …«, jammerte er schrill. »Ich weiß nichts … so glaubt mir doch.«
Slawnik sah dem verzweifelten Gesicht des alten Mönches an, dass er die Wahrheit sagte. So würde er nichts erreichen. Diese Erkenntnis steigerte seine Wut nur noch, und er schleuderte den Alten gegen Viviëns Grab. Unter der Wucht des Aufpralls löste sich das Kreuz aus dem Boden und ließ braune Erdbrocken hervorspritzen.
Slawnik zückte sein Schwert und schwang es wütend durch die Luft. Der Mönch fand die Kraft, indes das Kreuz aufzuheben und es schützend vor sich zu halten.
Slawnik wollte schon zuschlagen, als er plötzlich innehielt. Einige Kratzspuren auf dem Kreuz hatten seine Aufmerksamkeit geweckt. Stolz las er: » VTER VENTORVM «.
Er riss dem Alten das Kreuz aus der Hand, schlug mit einem Schwerthieb den Teil mit der Inschrift ab und steckte ihn unter sein Wams. Nun hatte er, was er wollte. Der Mönch, der sich zitternd wie Espenlaub auf dem Boden krümmte, kümmerte ihn nicht mehr.
Slawnik drehte sich auf dem Absatz um und sah, wie ein Novize eilends vom Grab wegfloh. Er musste den Vorfall beobachtet haben und war nun vermutlich auf der Suche nach Hilfe. Slawnik musste sich beeilen, denn San Michele della Chiusa rühmte sich guter Wachen. Man würde ihn nicht so leicht davonkommen lassen, schließlich hatte er beinahe einen Mönch getötet.
Mit großen Schritten verließ er den Friedhof, um so schnell wie möglich sein Pferd zu erreichen. Rennend erreichte er die Stallungen,
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