Der häusliche Herd
Gebärde, die besagen wollte: »Um
so schlimmer für ihn; es ist nun geschehen!« Dann fühlte sie das
Bedürfnis, einem trüben Gedanken Ausdruck zu geben.
Ach, hätten Sie mich doch geheiratet! murmelte sie.
Er stand überrascht, fast beunruhigt da, was ihn nicht hinderte
zu antworten, während er sie von neuem küßte:
Ach ja, es wäre so gut!
Das Essen am Abend in Gesellschaft der Josserand verlief
herrlich. Berta war noch niemals so sanft und liebenswürdig. Sie
sagte ihren Eltern kein Wort von dem Streite, den sie mit ihrem
Gatten gehabt und empfing August mit unterwürfiger Miene.
August war entzückt und nahm Octave beiseite, um ihm zu danken.
Er tat es mit solcher Wärme, drückte ihm dabei mit so lebhafter
Erkenntlichkeit die Hand, daß der junge Mann verwirrt ward.
Übrigens ward er von allen mit Aufmerksamkeiten überhäuft.
Saturnin, der sich jetzt bei Tische sehr anständig benahm, sah ihn
mit sanften Blicken an, als ob er die Wonne des begangenen
Fehltrittes mitgenießen wolle. Hortense geruhte ihm zuzuhören,
während Frau Josserand voll mütterlicher
Aufmunterung ihm das Glas füllte.
Mein Gott, ja! sagte Berta beim Nachtisch; ich will jetzt die
Malerei wieder aufnehmen. Seit langer Zeit schon will ich für
August eine Tasse malen.
Dieser zärtliche Gedanke der Ehegattin rührte August sehr.
Octave hatte schon, seitdem die Suppe aufgetragen worden, unter dem
Tische seinen Fuß auf jenen der jungen Frau gesetzt; damit nahm er
gleichsam Besitz von ihr bei diesem kleinen, spießbürgerlichen
Festmahl. Indes war Berta nicht ganz unbesorgt wegen Rachels, deren
spähenden Blick sie fortwährend auf sich ruhen fühlte. Sah man ihr
denn an, was geschehen war? Dieses Mädchen mußte entlassen oder
bestochen werden – das war klar.
Herr Josserand, der neben seiner Tochter saß, stimmte diese
vollends zärtlich, indem er ihr 19 Franken, in ein Papier
eingewickelt, unter das Tischtuch schob. Er neigte sich vor und
flüsterte ihr zu:
Das kommt von meinen kleinen Arbeiten, du weißt ja … Wenn
du Schulden hast, bezahle sie.
Zwischen dem Vater sitzend, der sie liebevoll ans Knie stieß,
und dem Liebhaber, der seinen Fuß an den ihrigen rieb, fühlte sie
sich außerordentlich wohl. Das Leben ließ sich herrlich an. Alle
Anwesenden gaben sich dem stillen Behagen eines im Familienkreise
friedlich verbrachten Abends hin. Nur August zuckte mit den Augen;
eine Migräne war im Anzuge; nach so großen Aufregungen war es auch
nicht zu verwundern. Gegen neun Uhr mußte er sich zu Bett
begeben.
Kapitel 13
Seit einiger Zeit schlich Herr Gourd mit geheimnisvollen,
beunruhigenden Mienen im Hause umher. Man begegnete ihm, wie er
geräuschlos, mit offenen Augen und gespitzten Ohren unaufhörlich
auf den beiden Treppen auf- und abstieg; einige Mieter trafen ihn
sogar bei nächtlichen Rundgängen an.
Offenbar verursachte ihm die Sittlichkeit des Hauses viel Sorge;
er fühlte gleichsam einen Hauch von Unehrbarkeit, der die kalte Öde
des Hofes, die feierliche Stille der Treppen, die schöne häusliche
Tugendhaftigkeit all dieser Stockwerke zu trüben drohte.
Eines Abends traf Octave den Hausmeister, wie dieser im vierten
Stockwerke ohne Kerze an die Tür gelehnt stand, die sich auf die
Dienstbotentreppe öffnete. Er fragte ihn überrascht, was ihn
hierher führe.
Ich will sehen, ob im Hause alles in Ordnung ist, sagte Herr
Gourd und ging schlafen.
Der junge Mann war erschrocken. Hatte vielleicht der Hausmeister
von seinem Verhältnisse zu Berta etwas bemerkt? Sind sie es, denen
er nachspäht? In diesem Hause, das so scharf bewacht war, und
dessen Bewohner so strenge Grundsätze hatten, stieß ihre Liebschaft
immerfort auf Hindernisse. Er konnte daher seiner Geliebten sich
nur selten nähern; seine einzige Freude war, daß er zuweilen, wenn
sie nachmittags ohne ihre Mutter ausging, unter irgendeinem
Vorwande sich gleichfalls aus dem Laden entfernte und in
irgendeinem entlegenen Gäßchen eine Stunde mit ihr Arm in Arm
spazieren ging.
Seit Ende Juli verreiste August jeden Dienstag nach Lyon; er hatte sich an einer dortigen Seidenfabrik,
die dem Ruin nahe war, beteiligt. Berta hatte sich bisher
geweigert, die Nacht zu benutzen, die sie hierdurch frei hatte. Sie
zitterte vor ihrer Magd und fürchtete, daß irgendeine
Unvorsichtigkeit sie dieser in die Hände liefern könne. Gerade an
einem Dienstag abend stieß Octave wieder auf Herrn Gourd, der in
der Nähe seines Zimmers aufgepflanzt stand. Das steigerte
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