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Der Hahn ist tot

Der Hahn ist tot

Titel: Der Hahn ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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selbstgebastelte Kram. Ich finde meinerseits, daß sich Beate zu jugendlich anzieht. Ich halte es für würdiger, zu meinem Alter zu stehen. Aber wir sind trotzdem gute Freundinnen, ich im grauen Tweedrock mit elfenbeinfarbener Seidenbluse, Perlenkette und Twinset - Grace-Kelly-Look, sagt Beate -, sie mit ihren verrückten Reithosen und den bunten Westen. Meine Möbel: schwarz und weiß, japanisch streng und zeitlos, von bester Qualität; die ihren: immer wieder anders, mal Ikea - alles Naturholz -, dann selbstangestrichen in Gold und Violett. Beate will mich auch sonst zu ihrem way of life bekehren. Sie schleppt mich gern mit, lädt mich zu ihren Partys ein, will mich immer wieder zu ihren geliebten Volkshochschulkursen anwerben. Ich versprach ihr, hin und wieder zu einem Einzelvortrag mitzukommen.
    Schließlich, nach längerer Pause, beschlossen wir, einen Vortrag über die Lyrik der Befreiungskriege zu besuchen. Es fing um zwanzig Uhr an, und ich war pünktlich um halb acht bei Beate. Schon auf der Treppe hörte ich das verstimmte Klavier, das eines ihrer Kinder zurückgelassen hatte. Beate machte auf. »Heidi, Heidi, deine Welt sind die Berge«, erklang es durchdringend. Die jüngste Tochter hatte Semesterferien, eine für mein Gefühl reichlich infantile Zwanzigjährige. Beate machte ein seltsames Gesicht. »Du, ich werde Großmutter!«
    Ich trat ein und sah die singende Lenore am Klavier. Ich schaute Beate fragend an. Sie nickte:
    »Ja, Lessi ist schwanger!«
    Mir entfuhr es entsetzt: »Aber da kann man doch noch etwas machen!«
    Lessi schnellte herum und sagte einstimmig mit ihrer Mutter: »Wie bitte?«
    Die beiden dachten gar nicht an eine Unterbrechung, sondern schienen sich zu freuen. Dabei stimmte in Lessis Leben noch gar nichts: kein fester Freund, am Anfang der Ausbildung zur Sportlehrerin und grün bis hinter beide Ohren. Ich ärgerte mich über die Unvernunft, aber irgendwo war auch Neid auf diese
    beiden Unschuldslämmer.
    »Sei mir nicht böse«, sagte Beate, »ich habe diese Neuigkeit erst vor zehn Minuten erfahren, ich kann jetzt nicht weggehen. Sei so lieb, geh allein und erzähl mir morgen, wie es war!«
    Ich machte, daß ich fortkam, am liebsten wäre ich gleich wieder heimgefahren. Eigentlich wollte ich doch nur Beate zuliebe dieses Literaturgeschwätz anhören. Wenn ich damals sofort nach Hause gefahren wäre, hätte sich das Schicksal von einigen Menschen auf andere Weise erfüllt.
    Aber ich ging doch hin, ziemlich zerstreut. Nun hatte ich diesen Abend so geplant, jetzt war es auch egal. Der kleine Saal war ganz voll. Als der Redner eintrat, wurde sofort geklatscht. Er sah gut aus: grau-brauner Wuschelkopf, tiefblaue Augen. Lässig angezogen, aber durchaus überlegt. Mittelgroß, eher zierlich. Ein schöner Mann, ich vergaß Beate und Lessi. Als er dann anfing zu reden, vergaß ich überhaupt alles um mich und weiß auch nichts mehr von dem, was er über Ernst Moritz Arndt, Theodor Körner und Friedrich Rückert sagte. Seine Stimme tönte in meinen Ohren, daß es mir schwindelig wurde, mein Herz klopfte, mein Magen flatterte. Es war nicht die berühmte Liebe auf den ersten Blick, sondern auf den ersten Ton. Seine warme Stimme war es, die auf mich einen derartigen erotischen Zauber ausübte, daß ich völlig ins Träumen geriet und nach anderthalb Stunden halb betäubt nach Hause fuhr.
    So plötzlich hatte es mich erwischt, mich alte Schachtel, die fest geglaubt hatte, völlig immun gegen schöne Männer und aufregende Stimmen zu sein. »Wenn alte Scheunen brennen...«
    Am nächsten Tag rief ich Beate gleich in der Mittagspause an. Doch sie wollte nur von ihrer schwangeren Tochter reden, und ich mußte mir das wohl oder übel eine Zeitlang anhören. Schließlich erkundigte sie sich doch nach dem gestrigen Vortrag, und ich konnte sie endlich fragen, was sie über den Redner wüßte.
    »Ach, weißt du, die hiesigen Dozenten kenne ich alle mehr oder weniger gut. Aber der ist ja nicht von hier, er hält höchstens einmal pro Semester einen Vortrag bei uns. Ich weiß eigentlich gar nichts über ihn.«
    Natürlich bin ich nicht der Mensch, der selbst der besten Freundin seine verwirrten Gefühle gleich unter die Nase reibt. Nichts wäre mir schlimmer, als mich lächerlich zu machen. Ich drückte mich recht vorsichtig aus, um mehr aus Beate herauszuquet schen.
    »Ich kann ja mal rumfragen«, erbot sie sich schließlich, »sicher kennt ihn irgend jemand. Außerdem soll er mal ein Buch geschrieben

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