Der Hahn ist tot
sich. Schon am übernächsten Tag rief Witold an. Er hätte eine Gruppe interessierter Wandersleute aufgetrieben, und man wolle sich am kommenden Sonntag in Schröders Wochenendhäuschen in Bickelbach treffen, um alles Weitere zu besprechen. Ich wüßte ja, wo die Hütte wäre, und sollte um vierzehn Uhr dort sein, bei schönem Wetter wolle man noch ein Stündchen Spazierengehen. Witold war liebenswürdig und schloß mit den Worten: »Ich freue mich, daß du dabei bist. Also bis übermorgen!«
Na, wenn er sich schon freute, ich war fast außer mir! Ich kaufte mir noch am gleichen Tag Wanderschuhe und begann mit dem Einlaufen, indem ich sie vorm Fernseher anbehielt.
»Rosi«, sagte ich laut zu mir, »und wenn dir die Füße beim Wandern vor Schmerz absterben, du muckst dich nicht! Denk an die kleine Seejungfrau, die auch ausgehalten hat für ihren Prinzen.«
Im übrigen wollte ich im Moment viel lieber die bezaubernde See-Jungfrau sein als die blutrünstige SeeRäuberjenny. Ich besorgte mir für alle Fälle einen Vorrat an Heftpflaster; mit dem Kauf eines Rucksacks wollte ich lieber noch warten, weil ich darin unerfahren war wie ein neugeborenes Kind.
Pünktlich um zwei Uhr kam ich in B i ckelbach an. Ich trug die neuen, besonders leichten Wanderschuhe, die ersten Jeans meines Lebens und einen meiner dunkelblauen Urlaubspullover. Witolds Auto war noch nicht da, anscheinend nur das von Ernst Schröder. Da ich ihn ja kannte und er mich wahrscheinlich vom Inneren des Hauses aus kommen sah, stieg ich wie damals im Sommer die ausgetretenen Stufen empor. Die Tür wurde aufgerissen. Eine Frau reichte mir die Hand.
»Ich bin Pamela Schröder, und Sie sind bestimmt von Rainer hierherbestellt worden.«
Ich stellte mich vor und trat ein. Auf der hölzernen Eckbank lag Ernst Schröder und schlief, umstopft von verschiedenen Sofakissen. Ich wollte die Stimme dämpfen, aber seine Frau lachte nur. »Den kann nichts in seiner Ruhe stören, je lauter es zugeht, desto gemütlicher schnarcht er.«
Sie setzte Wasser auf, räumte Tassen aus dem Schrank. Fragend sah sie mich an.
»Wie viele sind wir eigentlich?«
Ich zuckte mit den Achseln. Pamela Schröder war rothaarig und wirkte auf Anhieb wie das Gegenteil von ihrem sanft schlummernden Mann. Sie war eine temperamentvolle Aktivistin, ein dominanter Typ, auffällig anzusehen. Obgleich sie uralte, viel zu große Hosen mit Flicken trug, mochte sie nicht auf Stöckelschuhe und eine violette Brokatbluse verzichten. Sie war flink in den Bewegungen, ihre rot lackierten Krallen griffen zielsicher nach Geschirr und Besteck. Dabei plauderte sie lässig mit einer Zigarette zwischen den Lippen, während ich etwas ungeschickt meine Hilfe anbot. Ernst gähnte plötzlich, öffnete die Augen und sah teils verschmitzt, teils schuldbewußt auf die unbarmherzigen Vorbereitungen zum Kaffeetrinken. Schließlich stand er mit einem Ruck auf, begrüßte mich und verschwand im Klo.
Ich hörte einen Wagen und spähte aus dem Fenster. Endlich!
Witold kam, neben ihm saß eine blonde junge Frau.
Sie kamen herein. Ich musterte mit tiefstem Mißtrauen seine Begleiterin. Witold erklärte atemlos, daß drei Interessenten abgesagt hätten, aber das Ehepaar Mommsen noch zu erwarten sei. Pamela rechnete. »Also wären wir sieben«, stellte sie fest und übergab mir ohne Erklärung den Stapel Teller. Ich begann den Tisch zu decken, wobei mir die Blonde sofort half. Witold stellte uns vor.
»Das ist Frau Zoltan, eine Kollegin von mir.«
Meine gute Laune verflog. Wahrscheinlich hatte er diese Dame für sich mitgebracht. Die Schröders waren ein Ehepaar und die noch nicht anwesenden Mommsens ebenfalls; also bekam ich mal wieder meine vertraute Rolle als alte Tante zugewiesen.
Ernst kam vom Klo, der Tisch war fertig gedeckt, ein Zwetschgenkuchen wurde von Pamela aus dem Auto geholt, Frau Zoltan schlug Sahne. Als nach einer halben Stunde das ominöse Ehepaar nicht aufgetaucht war, begannen wir mit dem Kaffeetrinken. Von der Wanderung wurde noch gar nicht gesprochen.
Der sorgsame Hausvater Ernst Schröder schlug vor, daß wir uns als zukünftige Wanderkameraden alle duzen sollten. Eigentlich betraf das nur mich, ich hatte die beiden Frauen ja noch nie zuvor gesehen. Pamela Schröder meinte, jeder (bis auf ihren Mann) würde sie Scarlett nennen, und ich sollte das auch so halten. Frau Zoltan hieß Kitty und hatte keine Extrawünsche. Witold sagte ganz selbstverständlich, ich hieße »Thyra« und kehrte somit die
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