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Der Hahn ist tot

Der Hahn ist tot

Titel: Der Hahn ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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werden, daraus ist nichts geworden. Nun ist sie halt Mutter und Apothekers Gattin.«
    Nach einer kleinen Gedankenpause sagte er wie zu sich selbst: »Vor ein paar Jahren...«, er sprach nicht weiter. Ich sah ihn fragend an.
    »Ach nichts«, er lächelte versonnen, und mir lief eine leichte Gänsehaut über die Arme.
    Das Häuschen war nun gut zu sehen, ein weiteres Auto parkte auf der Wiese.
    »Na, da sind ja deine Freunde«, sagte ich zu Witold, »wie klug, daß du mit der Wanderplanung noch gewartet hast.«
    »Das sind sie nicht«, verbesserte mich Witold, »das ist nämlich Scarletts Auto. Vielleicht sind es die Kinder.«
    Wir hatten Ernst und Kitty eingeholt. Ernst verzog das Gesicht, er teilte uns mit, der Sohn habe vor einer Woche den Führerschein gemacht, aber eigentlich nicht die Erlaubnis erhalten, mit dem Wagen seiner Mutter herumzukurven. Im Haus saßen Pamela Schröder, der berühmte Oleg und seine Schwester vor den Resten des Zwetschgenkuchens, der beachtlich geschrumpft war.
    »Was ist los?« fragte Ernst.
    Annette maulte: »Ach Papa, seit gestern habe ich so schreckliche Halsschmerzen, und im ganzen Haus ist nicht eine Lutschtablette.«
    »So ist das halt bei Apothekers«, warf Witold ein.
    Die Mutter der Sprößlinge war etwas gereizt. »Wenn es schon seit gestern früh so schlimm war, warum kommst du denn jetzt erst auf die Idee, nach Tabletten zu fragen?«
    Oleg behauptete: »Sie wollte den Papa nicht an seinem freien Tag belästigen. Aber jetzt mußte ich sie einfach herbringen, so schlimm ist es geworden.«
    Witold zwinkerte ihm zu.
    Ernst seufzte: »Na, komm mein krankes Schätzchen, deine Schmerzen haben dich ja nicht daran gehindert, den Kuchen zu spachteln. Im Auto habe ich wahrscheinlich Medikamente.«
    Pamela warf ihrem Sohn einen heftigen Blick zu: »Meinst du etwa, dieses Spiel wäre nicht allzu durchsichtig? Auf einmal machst du auf Bruderherz, nur weil du mit meinem Auto fahren willst!«
    Oleg widersprach. Er hätte ja auch eine Spritztour nach Frankfurt machen können - dann hätten die Eltern das gar nicht gemerkt - und nicht ausgerechnet nach Bickelbach.
    Annette und ihr Papa kamen wieder herein, setzten sich nebeneinander auf die Eckbank, und die Tochter kuschelte sich an den Vater. Ernst strahlte.
    Oleg hatte inzwischen eine liebenswürdige Plauderei mit seiner Geschichtslehrerin begonnen, Witold durch mehrere Witze zum Lachen gebracht und seinem Vater die Erlaubnis abgeluchst, zwei Flaschen Wein für eine Party mitzunehmen. Scarlett wollte, daß die Kinder noch im Hellen heimfuhren, da sie Olegs Fahrkünsten nicht so recht traute.
    »Wenn ihr endlich ein Telefon in Bickelbach hättet, dann könnten wir ja von zu Hause anrufen, daß wir lebend angekommen sind«, bemerkte Oleg diplomatisch fordernd, da dies anscheinend ein altes Thema war.
    Endlich zogen die Gören ab. Ich hatte die Hoffnung gehegt, daß wir jetzt zur Sache kämen. Aber die stolze Mutter nahm den Besuch ihrer Kinder zum Anlaß, ausführlich ihre Vorzüge zu schildern. Annette: Noch ein richtiges kleines Mädchen, so anhänglich und lieb, im Gegensatz zu ihren Freundinnen noch ohne Freund und diesbezüglich reizend kindlich. Mir stieg die Wut hoch. Aber nun kam das Söhnchen dran. Er spielte Schlagzeug in einer Schüler-Band, und wir vernahmen, daß ein echter Künstler in ihm steckte. Ich hatte Lust zu gehen. Aber schließlich war ich hier, um demnächst mit Witold zu wandern, da mußte ich so etwas vorerst ertragen. Es konnte heiter werden, wenn diese Frau die ganze Zeit von ihren verwöhnten Kindern sprechen wollte, die sie ja offensichtlich bedenkenlos allein ließ.
    Witold war es, der unterbrach.
    »Da der Familie Mommsen anscheinend irgend etwas dazwischengekommen ist, wollen wir jetzt mit der Lagebesprechung anfangen.«
    Ernst grinste mir zu. »Vorsicht, Lehrer!«.flüsterte er. Witold nahm aus einer Aktentasche Kartenmaterial und fotokopierte Bögen, die er verteilte.
    »Ich habe für jeden Teilnehmer eine Liste gemacht, was er unbedingt dabei haben sollte, da ja nicht jeder so erfahren im Wandern ist wie wir beide«, er wandte sich an Kitty. »Ich hoffe, ihr habt alle einen Rucksack?«
    Ich schüttelte den Kopf. Die anderen lasen ihre Listen.
    In das Schweigen hinein vernahm man plötzlich Pamelas harte Stimme: »Rainer, das ist totaler Blödsinn. Wenn ihr auch nur den geringsten Wert darauf legt, daß ich mitkomme, dann werden keine Rucksäcke geschleppt!«
    »Sondern?« fragte Witold.
    »Mein Gott!«

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