Der Hahn ist tot
»Rosemarie« völlig unter den Tisch. Sofort regte man sich über diesen seltsamen Namen auf, und Witold hatte wieder die gute Gelegenheit, Gorm Grimme zu zitieren, wobei Kitty die Verse leise mitsprach, während die Schröders verdutzt lauschten.
Kitty war in Witold verliebt, das war mir spätestens nach einer Stunde klar. Doch sah es nicht nach einer herausfordernden, sondern einer stillen und hingebungsvollen Zuneigung aus, die offenbar nicht im gleichen Maße erwidert wurde. Witold versprühte Charme und Witz, er bestritt über weite Strecken die Unterhaltung und sonnte sich im Erfolg. Scarlett war ihm aber in gewisser Weise ebenbürtig, denn auch sie liebte große Auftritte und lechzte danach, im Rampenlicht zu stehen. Mit zwei solchen Entertainern und Windmachern waren wir anderen drei zum bloßen Publikum degradiert, aber wir genossen die Darbietungen natürlich und klatschten Beifall.
Das Ehepaar Mommsen erschien nicht.
»Bevor der angekündigte Regen einsetzt, sollten wir uns noch ein wenig die Beine vertreten«, ordnete Witold an. Der Himmel bewölkte sich. Aus den drei Autos wurden zwei Schirme geholt, im Haus war noch ein weiterer. Witold hatte zusätzlich eine Wetterjacke dabei. Für alle Fälle waren wir nun gegen den Regen gerüstet, denn Pamela wollte nicht mit Spazierengehen, sondern auf die Mommsens warten und das Geschirr spülen.
Wir liefen also los. Zu meinem großen Bedauern war Witold mit seinem Freund im Nu ein Stück voraus, und wenn Kitty und ich ihnen durch beschleunigtes Gehen in Reichweite kamen, schienen sie sofort einen Zahn zuzulegen. Kitty lachte.
»Die beiden müssen über den Oleg reden!«
Wer war Oleg? Kitty erklärte mir, daß die Schröders zwei Kinder hätten, die fünfzehnjährige Annette und den achtzehnjährigen Oleg. Der Junge sei ein intelligenter Tunichtgut, bereits zweimal sitzengeblieben, jedoch sehr frühreif, was seine skandalösen Frauenaffären anginge. Ernst wolle sicher aus Rainer Engstern herausquetschen, was man im Lehrerzimmer für Klagen hatte. Ich fragte Kitty, ob sie ihn auch unterrichte.
»Ja, bei mir hat er Geschichte und bei Rainer Französisch. Ich persönlich kann seinem Charme schlecht widerstehen, irgendwie kommt er bei mir immer mit einem blauen Auge davon.«
Kitty war mir sympathisch, ungeachtet meiner Ängste, daß sie es auf Witold abgesehen hatte. Sie war klein und drahtig, ein Pfadfindermädchen mit gesunder Gesichtsfarbe; ihr Äußeres war unauffällig, ihre Kleidung verhalten. Sie beobachtete mit kritischen Augen, manchmal spöttisch, aber niemals bösartig. Zuweilen machte sie eine trockene Bemerkung, die überaus witzig war. Ich hatte das Gefühl, einem zuverlässigen, ein bißchen introvertierten Menschen zu begegnen. Kitty schien nicht verheiratet zu sein, was eigentlich verwunderlich war.
Erst als wir fast wieder im Bickelbacher Holzweg angekommen waren, blieben die Männer stehen und warteten auf uns. Nun ging Kitty mit Ernst Schröder voran, um mit ihm den Oleg zu besprechen. Ich trödelte absichtlich, um Witold noch einige kostbare Minuten ganz für mich zu haben. Ich fragte ihn nach Kitty.
»Eine sehr liebe Kollegin«, betonte er, »allgemein geschätzt. Wir haben früher mehrere Klassenfahrten zusammen gemacht, da sind wir ein perfektes Gespann gewesen.«
Der Pferdevergleich paßte zu Kitty, obgleich sie sicherlich kein Ackergaul, sondern ein freundliches Pony war.
»Ist sie verheiratet?«
»Aber nein, erstaunlicherweise hat sie noch nicht den Richtigen gefunden. Aber Kitty stellt eben Ansprüche, und das mit Recht«, stellte er fest. Ob sie ihn für den Richtigen hielt?
»Und wie ist es mit Vivian gelaufen?« fragte ich, bestimmt etwas zu indiskret.
Aber Witold sprach nicht ungern über Intimitäten. Sein Gesicht nahm einen ärgerlichen Ausdruck an.
»Unsere letzte Aussprache war sehr unerfreulich. Ich weiß gar nicht, ob ich in diese Beziehung noch investieren soll; der Altersunterschied macht sich eben doch bemerkbar. Kann sein, daß Vivian sich unter Freundschaft etwas anderes vorstellt als ich. Wie es nun weitergehen wird, weiß ich nicht - vielleicht geht es eben nicht mehr weiter.«
Wir schwiegen beide. Das Häuschen tauchte auf.
»Bevor wir dort sind, Witold«, sagte ich leise und schnell, »sag mir um Gottes willen noch rasch, wie diese Pamela ist!«
Witold liebte solche Fragen und grinste.
»Die hat Feuer im Arsch«, sagte er, und ich errötete. »Die Scarlett wollte mal Schauspielerin oder Sängerin
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