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Der Hals der Giraffe

Der Hals der Giraffe

Titel: Der Hals der Giraffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Schalansky
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Bezeichnung. Das Geld hatte nur für eine Pappschachtel gereicht, die ein Bulldozer und ein Traktor in ein paar Tagen aus Einzelteilen zusammengesetzt hatten. Merkwürdig: Erst wartete man sein Leben lang auf einen Telefonanschluss. Und dann stand da in drei Tagen ein Haus. Die Wände waren dünn. Wenn jemand die Treppe runterging, schepperte es im Keller. Immerhin hatten sie freie Sicht aufs Feld. Die Fassade von Efeu bedeckt. Das Versteck einer Spatzenkolonie. Man brauchte nur in die Hände zu klatschen, und schon schossen sie heraus.
    Rief jemand nach ihr?
    Natürlich, Hans. Der witterte immer sofort Besuch. Und Besuch war für ihn ja schon, wenn jemand an seinem Zaun vorüberging. Gerade stieg er aus dem Gewächshaus, das er aus ausrangierten Holzfenstern zusammengezimmert hatte. In den Händen ein Tomatenzweig. Schlurfender Gang. Wie immer alle Zeit der Welt.
    »Auto kaputt?«
    Blitzmerker.
    »Ja, ja. Die Batterie.«
    Er winkte ab. »Kenn ich, kenn ich. Hatte ja auch mal eins. Aber da kamen noch ein paar Dinge dazu. Totalschaden, haben sie gesagt. Aber nach Totalschaden sah das wirklich nicht aus. Diese Hunde. Sagen einfach Totalschaden. Und Schluss aus. Dabei war das ein feiner Wagen, ein richtiges Goldstück.«
    Auf dem abgeernteten Feld hinter seinem Garten die verstreuten Strohballen. Tief durchhängende Stromleitungen unter dem weiten Himmel. Das letzte Mal hatte er das mit dem Auto erzählt, als sich der Sohn von Thiele totgefahren hatte. Siebzehn Jahre. Keinen Führerschein. Zweihundert Sachen. Das wünscht man keiner Mutter. Aber getaugt hatte der Bengel nichts.
    Sie kannte alle seine Geschichten. Darum ging es nicht. Einmal am Tag mit Hans reden war eine gute Tat. So konnte er sich einbilden, dass es ihn noch gab. Dass sie nur dastand, weil er eine arme Sau war, störte ihn nicht. Die arme Sau war sein Kapital. Er jagte sie über den Hof, wann es nur ging. Und jetzt war die Gelegenheit, der Höhepunkt seines Tages.
    »Wusstest du, dass Wildbienen fleißiger als Honigbienen sind? Weil sie nicht in Staaten leben, sondern allein. Oder in lockeren Wohngemeinschaften.«
    Was wollte er denn damit sagen?
    »Aber die sterben ja alle, die Bienen. Dir brauche ich ja nicht zu sagen, was das heißt. Wenn die Bienen sterben, haben die Menschen noch vier Jahre.«
    Immer dieser Weltverschwörerblick.
    »Wo hast du das denn wieder her?«
    Er hielt den Kopf schief. »Ich lese Zeitung, ich höre Radio. Immerhin: Ich vergammle nicht.«
    Als wäre das schon eine Leistung. Obwohl: Das war tatsächlich eine Leistung. Was für eine zermürbende Anstrengung musste das sein. Ohne Funktion am Leben bleiben. Nutzloses Dasein. Auf Kosten anderer. Das gab es auch nur bei den Menschen.
    »Ich nehme die Außenwelt durch die Membran der Medien wahr.« Er hob seine Hand zum Ohr und horchte. An seinem Wohnzimmerfenster hingen zwei Außenthermometer. Sicherheitshalber. Wenigstens über die Temperatur wollte er die Kontrolle behalten. Mit seiner rot getigerten Katze ging er abends auf dem Feld spazieren. Manchmal sagte er: Elisabeth und ich … Elisabeth und er.
    Er war mit einer Ukrainerin verheiratet, die längst über alle Berge war. Für Geld, das er längst verschleudert hatte. Er redete nie von ihr. Er dachte wahrscheinlich nicht einmal mehr an sie. Einmal war er stockbesoffen mit einer Gummipuppe durchs Dorf gelaufen. Keine Kinder. Tiere fanden sich ja wenigstens vorübergehend zur Paarung zusammen. Temporäre Brutgemeinschaften. Er hatte sich verspekuliert. Er verspekulierte sich immer. Aber er konnte nicht damit aufhören. Warum auch. Willst du nicht investieren? Ich meine, fünftausend Euro, das ist doch nichts. Schlag zu! Er war einfach da, saß in seinem Lehmhäuschen, dem einzigen massiven Haus in dieser Siedlung, einer Höhle, die eher an eine Garage als an eine Wohnung erinnerte. Ein Hobbykeller mit Werkbänken und selbstgemalten Bildern. Er war draußen. Für immer. Er würde nie mehr einen Fuß in die Tür bekommen.
    Elisabeth kam, strich um seine Waden und setzte sich auf seine Füße. An dieser Katze war ein Hund verlorengegangen.
    »Und ich stelle keinen Blödsinn an.« Unterlassung als Verdienst. Wie ehrbar. Nun war es aber gut. Sie wollte gehen.
    »Warte mal.«
    Er bückte sich, streichelte die Katze und hob etwas auf.
    Ein einzelne rostige Schraube. Er wog sie kurz, warf sie in die Luft, fing sie wieder auf und öffnete seine Hand.
    »Ah, siehst du, die kann man noch mal gebrauchen.« Er steckte sie in die Tasche

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