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Der Hammer der Götter

Der Hammer der Götter

Titel: Der Hammer der Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Spinne denken ließ, die ihr Opfer aussaugte, näherte er sich einer der Essen, ließ seinen Blick kurz über geschwärzten Stein und rostiges Eisen tasten und ging weiter. Torben grummelte etwas, das Thor nicht zu verstehen vorzog, folgte ihm aber gehorsam zur nächsten, dann dritten und schließlich zur vierten und größten Feuerstelle, die fast die gesamte Giebelwand des Raumes einnahm. Etwas bewegte sich in der Dunkelheit vor ihnen. Etwas, das gar nicht da war und auf ebenso wenig vorhandenen Füßen lautlos vor ihnen floh, sie aber dennoch aus unsichtbaren Augen gierig anstarrte. Diesmal gelang es Thor nicht, den Gedanken abzuschütteln, so absurd er auch sein mochte.
    Eine Weile standen sie einfach schweigend nebeneinander, doch schließlich hielt Torben es nicht mehr aus. »Lass uns gehen, Thor«, verlangte er. »Hier gefällt es mir nicht.«
    Statt zu antworten, trat Thor dichter an die Wand hinter der Esse heran und fuhr mit dem Handballen über den geschwärzten Stein. Der Ruß fühlte sich nicht nur klebrig an, sondern warm und auf unangenehme Weise fast lebendig, als berühre er die Haut eines großen, schlafenden Tieres, und darunter kam nicht nur uralter Stein zum Vorschein. Vielmehr gewahrte er eine senkrechte Doppelreihe großer, sonderbar eckig anmutende Runen, die vor unendlich langer Zeit in den Stein hineingemeißelt worden waren. Sie ähnelten denen, die sie auf dem Grabhügel gesehen hatten, doch obwohl Thor diese Schrift so wenig lesen konnte wie die andere, spürte er zugleich einen Unterschied; etwas, was sie anders, düsterer und bedrohlicher machte.
    Nachdem er die Schrift zu einem Gutteil freigelegt hatte, wich er rückwärts gehend wieder an Torbens Seite zurück und begann sich die Hand am Mantel abzuwischen; mit kleinen, hektischen Bewegungen, als hätte er sich besudelte. Torbens Blick folgte der Bewegung, und nun erschien beinahe so etwas wie Furcht in seinen Augen.
    »Woher ... wusstest du das?«, flüsterte er.
    »Hier.« Thor streckte die linke Hand aus und legte sie mit gespreizten Fingern auf den gemauerten Rand der Esse. Er war so hoch, dass nicht einmal er bequem daran hätte arbeiten können. »Hier wurde er gemacht, mein Freund.«
    »Er?«
    Auch jetzt antwortete Thor nicht sofort, sondern schlug mit der anderen Hand seinen Mantel zurück, löste Mjöllnir vom Gürtel und legte den schweren Kriegshammer mit einer fast andächtigen Bewegung auf den Stein. Etwas ... regte sich, tief im Inneren des Hammers und noch tiefer in seiner Seele.
    »Mjöllnir?« Torben dachte mit angestrengt gerunzelter Stirn über diese Behauptung nach und sah dann ebenso zweifelnd wie zutiefst erschrocken in Thors Gesicht hinauf. »Ihr ... du ... du glaubst, er wäre hier geschmiedet worden? In dieser Stadt?«
    »Nein«, antwortete Thor. »Ich weiß es. Hier, Torben. Genau hier.« Und er wusste auch noch mehr. Er wusste, von wem diese mächtigste aller Waffen geschmiedet worden war, wann und zu welchem Zweck.
    »Aber du hast behauptet, du selbst hättest ihn ...«, begann Torben, und Thor unterbrach ihn fast erschrocken:»Ich habe gelogen.«
    Jetzt sah der alte Kapitän entsetzt aus. »Aber warum?«
    Weil er es nicht besser gewusst hatte. Weil er geglaubt hatte, Dinge über sich und sein früheres Leben zu wissen, die niemals stattgefunden hatten.
    Vielleicht hatte es ja sein ganzes früheres Leben nicht gegeben.
    Wieder verging lange Zeit, in der sie einfach nur schweigend nebeneinander standen, ein jeder in seiner eigenen und vornehmlich düsteren Welt aus Erinnerungen und Furcht gefangen, und schließlich war es auch jetzt wieder Torben, der die Stille unterbrach. »Ich weiß, dass es mich nichts angeht, Herr«, sagte er, »aber ich frage trotzdem: Woher weißt du das alles?«
    »Dwegr hat es mir gesagt«, antwortete Thor. Das entsprach ebenso sicher nicht der Wahrheit, wie es genau das tat. Der Zwerg hatte ihm nichts von alledem hier gesagt, und das hätte er auch gar nicht gekonnt, denn Thor wusste nun, dass es die unheimliche Gestalt mit dem Greisengesicht und den boshaften Kinderaugen nicht gab. Sie war nur Einbildung, ein Teil seiner verschütteten, fremden Erinnerungen, die Gestalt angenommen hatte, um ihm auf diese Weise Dinge zu erzählen, die er nicht wissen wollte, und vielleicht auch nicht durfte.
    Zögernd nahm er Mjöllnir wieder an sich, befestigte ihn an seinem Gürtel (zum allerersten Mal seit langer Zeit wieder spürte er das Gewicht des Hammers, das an seiner Hüfte zerrte) und

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